Wir Genussarbeiter
so oft ich auf den Weg der letzten konzentrierten Arbeit komme. Das ist keine Sache von Stunden oder Tagen, sondern ein Prozeß, der in Wochen und Monaten sich vorbereitet und wieder abklingt. Und dieses Weg-Kommen von allem Menschlichen und Abbrechen aller Bezüge ist im Hinblick auf das Schaffen das Grandioseste, was ich an menschlichen Erfahrungen kenne – im Hinblick auf die konkreten Situationen das Verruchteste, was einem begegnen kann. Es wird einem bei vollem Bewusstsein das Herz aus dem Leibe gerissen.« Heidegger musste nicht nur jeden Kontakt zur Außenwelt abbrechen, um zu arbeiten, er wurde auch noch regelrecht ausgeweidet und aller Sinne beraubt, damit er sich als reiner Geist seiner Arbeit widmen konnte.
Ähnliches widerfuhr auch dem heiligen Antonius. In der Wüste wurde er immer wieder von kleinen spitzzahnigen Dämonen heimgesucht, die ihn vom Glauben abzubringen versuchten. Auf einem anonymen Gemälde aus dem Jahre 1520 etwa greifen die kleinen Monster den Heiligen von allen
Seiten an, zwicken und zwacken ihn, ziehen und zerren an ihm. Aber Antonius schreit nicht. Eher wirkt er angestrengt. Angestrengt wie ein Denker. Zwischen seinen Augen ist eine tiefe Falte zu erkennen, und sein Blick ist starr gen Himmel gerichtet. Als würde von dort die Rettung kommen, wenn er sich nur genügend konzentriert, konzentriert auf das Wesentliche. Er darf sich nur nicht ablenken, nur nicht in Versuchung führen lassen von den bösen Teufelchen! Wie erstarrt wirkt Antonius in seiner Konzentration. Vor dem Hintergrund moderner Kategorien ließe sich sogar sagen: Antonius wirkt beinahe depressiv. Ergeben und fast wie tot hängt er zwischen den Zähnen der Teufel. Nur sein Kopf arbeitet. Unermüdlich. Während die Welt um ihn herum versinkt.
Bild 2 Der Heilige Antonius von Dämonen gepeinigt (UM 1520), ANONYM
Doch kommen wir zurück zu Heidegger. Denn bei genauerem Hinsehen hat sich der Philosoph in seiner Berghütte durchaus nicht auf gänzlich unsinnliche Weise sein Hirn zermartert. Ganz im Gegenteil. Von Grandiosität ist da die Rede, und sogar von Verruchtheit! Für einen Asketen klingt das doch auffallend sexuell, geradezu ekstatisch. Und in der Tat: Heidegger musste den Kontakt zur Geliebten abbrechen, musste sich in seine Hütte zurückziehen, um sich auf eine nachgerade sexuelle Weise seiner Arbeit hingeben zu können. Man könnte auch sagen: Er tauschte eine Geliebte gegen die andere aus.
Tatsächlich ist ja die Intimität, die im Alleinsein mit den eigenen Gedanken entsteht, in gewisser Hinsicht mit der eines sexuellen Aktes vergleichbar. Ich lasse mich ein, öffne mich, werde empfindsam für Bedeutungen, die mich fortführen, um nicht zu sagen, ver führen, und greife dabei immer wieder sanft lenkend ein, um meinen Gedankengängen einen Sinn, eine Richtung zu geben. Und damit dieses lustvolle Wechselspiel gelingen, ja, damit es überhaupt beginnen kann, ist nun einmal ein bestimmtes Setting vonnöten. Eine Rahmung, die Intimität überhaupt erst ermöglicht. Ist es nicht beim Denken wie auch beim Sex so, dass vieles sich von allein ergibt, wenn die Lust erst einmal da ist? Und während Liebende gern bei Kerzenschein Rotwein trinken, um sich in Stimmung zu bringen, und sich sodann auf ein weiches Lager niedersinken lassen, das zum Liebesakt einlädt, brauchen Denker wie Heidegger eben Holzbänke und kaltes Brunnenwasser, damit die Lust kommt – was letzten Endes bedeutet, dass die Studierzelle nicht asketischer ist als ein Schlafzimmer. Oder ein Bordell.
Denn all diese Orte haben gemeinsam, dass es in ihnen um die Produktion von Lust geht: Hier sollen Körpersäfte fließen, dort Gedanken hervorsprudeln.
Aber warum bevorzugt Heidegger eigentlich, anders als der Liebhaber, spartanische Kargheit? Hätte er nicht auch hin und wieder mal einen Champagner trinken können? Mit seiner Liebsten hingeräkelt auf rotem Plüsch? Zumindest abends, nach getaner Arbeit? Wozu diese Selbstkasteiung? Die Antwort lautet: Weil der Philosoph offensichtlich erst in der Abwesenheit irdischer Verlockungen die Verbindung zum Werk aufnehmen konnte – ganz ähnlich wie auch Antonius die Verbindung zu Gott nur zu halten vermochte, weil er sich von den Dämonen nicht aus dem Konzept bringen ließ. Könnte ein Gedanke inmitten realer Genüsse überhaupt zu funkeln beginnen? Käme er überhaupt zur Geltung? Würde er nicht unwiederbringlich überstrahlt? Und bezogen auf Antonius: Wäre der Heilige je zu Gott gekommen, wenn er
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