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Wir haben gar kein Auto...

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Titel: Wir haben gar kein Auto... Kostenlos Bücher Online Lesen
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»Scheiß dies«, »Scheiß das«.
    Das holde Lächeln auf Juttas Lippen bleibt davon unberührt, bis das Rauschen der Spülung in seiner vollen Wucht zu hören ist. Indem sie unmerklich die Lippen verzieht, scheint sie ihr durchaus verständliches Missfallen ausdrücken zu wollen. Doch dem ist nicht so, es handelt sich lediglich um eine leichte Kontraktion. Sie öffnet Augen und Mund und lächelt wieder. Wie beneide ich Menschen, die morgens meditieren können!
    Das Wetter ist heute eindeutig schlecht, aber immerhin regnet es nicht. Zum ersten Mal holen wir die Windjacken und die langen Radlerhosen aus den Taschen. Wir lassen es gemütlich angehen, frühstücken ausgiebig und machen anschließend einen langen Spaziergang. Gegen Mittag beginnenwir die Abfahrt nach Pfunds, wo wir Rast machen und eine heiße Tomatensuppe essen. Schön eingemummelt und gestärkt, breiten wir im Bauch eines alten Wirtshauses die Karte auf dem Tisch aus und legen unsere heutige Etappe fest. Dann fahren wir weiter.
    Der erste Teil der Strecke leitet uns durch Wälder zur Holzbrücke über den Inn, bis wir zu der Kreuzung kommen, die zum einen in die Schweiz führt und zum anderen zu einer alten österreichischen Zollstelle mit einer ehemaligen Festung, in der heute ein Museum untergebracht ist. Dies ist vielleicht der älteste und unwegsamste Abschnitt der ganzen Via Claudia Augusta. Immer wieder stoßen wir auf Schilder, die vorschreiben, die Räder zu schieben, so eng und steil ist die Via an dieser Stelle. Bis jetzt lief alles gut, abgesehen von den Strapazen.
    Fern vom Asphalt denke ich, während ich die von majestätischen Bäumen und zerklüfteten Gipfeln umgebenen Serpentinen hinaufsteige, an die Menschen, die in der Antike hier unterwegs waren. Nicht ohne eine gewisse innere Bewegtheit lese ich auf einem großen Schild, dass hier meine Vorfahren vorbeikamen, die alten Römer, die mit den Ländern des Nordens Handel trieben. An manchen Stellen ist der Weg mit großen Steinen gepflastert, in denen noch die Rillen zu sehen sind, welche die Räder der Wagen in den vielen Jahren anstrengender Reisen eingegraben haben. Unglaublich!
Nachdem wir Hochfinstermünz an der Grenze zum Engadin erreicht haben, verirren wir uns. Denn anstatt der Ausschilderung nach Martina zu folgen (wie die Karte vorschlägt), verlassen wir den Radweg (wie Jutta vorschlägt, sic!) und wechseln auf die Staatsstraße, über welche die Fernlaster in Richtung Italien brettern. Die vier Kilometer, die wir auf der schmalen Standspur fahren, rechts neben unseine niedrige Leitplanke, links ein Tunnel nach dem anderen, sind die gefährlichsten der ganzen Reise. Außerdem haben wir Gegenwind, und irgendwann weht es mir die Brille vom Kopf. Ich halte an und will über die Leitplanke klettern, um sie zurückzuholen. Erschöpft von der Anstrengung, beschließt Jutta just in diesem Moment umzukehren.
    Â»Warte!«, rufe ich ihr zwischen den hupenden Lkws hinterher. Die Fernlaster brettern weiter mit einer solchen Geschwindigkeit an mir vorbei, dass ich Jutta aus den Augen verliere.
    Â»Du bist verrückt!«, schreit sie plötzlich.
»È pericoloso.
Ich komm zurück!«
    Ich weiß nicht, woher die allgemeine Überzeugung stammt, dass Leitplanken automatisch Sicherheit bedeuten. Eigentlich sollten sie dazu dienen, dass man nicht irgendwelche Abhänge hinunterstürzt, und keineswegs dazu, nicht auf einer Wiese zu landen. In diesem Fall könnte meine Gefährtin recht haben, ich bin verrückt.
    Â»Aber ich
brauche
meine Brille, um mich vor diesem Scheißwind zu schützen«, widerspreche ich. »Deswegen klettere ich jetzt da drüber, und du wartest hier auf mich … Auf miiiich … Auf miiiiiiiii…«
    Meine Stimme scheint von den Wänden der wie von Sinnen dahinrasenden Fernlaster wie ein Echo zurückgeworfen zu werden. Als ich über die Leitplanke klettere, bleibe ich in einem Busch hängen, der mich meine Radlerhose verfluchen lässt, weil sie zwar gegen Wind schützt, aber nicht gegen Dornen. Ich versuche, mein Bein aus den Klauen des wehrhaften Busches zu befreien, peinlich darauf bedacht, nicht die Stacheln zu berühren. Ich höre ein Geräusch von reißendem Stoff, der Busch hat ein weiteres Stück meiner Radlerhose auf dem Gewissen! Was soll’s, wenigstens habe ich meine Brille

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