Wir haben keine Angst
jetzt zusammen in irgendeinem langweiligen Wohnviertel. Seit Wochen schreibt Katrin Anna wegen eines gemeinsamen Kaffeetrinkens an, irgendwann hat Anna sich breitschlagen lassen. Katrin ist eigentlich ja auch ’ne ganz Liebe, denkt Anna, als sie auf den Tisch zukommt. Außerdem kennen sich Annas und Katrins Eltern, da käme Absagen nicht so gut. Und wenn nicht Sonntag, wann soll Anna solche Menschen sonst abfrühstücken?
Es war dann eigentlich auch doch ganz nett. Katrin und Anna sprachen über die alten Leute vom Tennis, der Trainer war mittlerweile mit der Mutter einer Schülerin zusammengekommen, die beiden hatten jetzt ein Kind. Anna tat es gut, sich ein bisschen von solchen unwichtigen Neuigkeiten berieseln zu lassen.
Im Gegenzug fand Katrin alles toll, was Anna erzählte. Sie staunte über alles, was Anna die ganze Zeit macht und tut und schafft und stemmt. Katrin selbst schreibt gerade ihr Examen in Pädagogik, im Sommer macht sie eine Schülerfreizeit und danach hofft sie auf eine Promotionsstelle an der Uni. Ihr Freund ist Verpackungstechniker. Sie haben sich gerade ein Katzenbaby gekauft, zum Start in der neuen Wohnung. »Drück mir die Daumen für die Stelle«, sagt Katrin zaghaft, »Ich hab ja nur einen Zweierabschluss.«
»Na klar schaffst du das! Tschaka!«, ruft Anna euphorisch. »Wenn sie dich nicht wollen, wen dann?! Ich denk auch immer, ich kann das alles nicht, und dann klappt es doch«, sie winkt ab. Die beiden lächeln sich an. Anna fühlt sich unwohl. Sie muss jetzt langsam, aber sicher auch mal zu ihrer To-Do-Liste zurück. Sie hat Hunger und vor allem keine Lust mehr, über Babykatzen zu sprechen. Oder über sich selbst zu erzählen. Vor allem nicht jemandem, der den Namen ihrer Agentur noch nie im Leben gehört hat.
Anna schielt auf Katrins Glas. Sie versucht auszurechnen, wie lange Katrin noch brauchen wird, um ihre Rhabarbersaftschorle auszutrinken. »Super, danke«, strahlt sie, als die Kellnerin die Rechnung bringt. Anna lädt Katrin ein. Die beiden Mädchen verabschieden sich an der Straßenecke. »Dein Schal ist schön«, sagt Anna, um noch was Nettes zum Schluss zu sagen. »H&M«, sagt Katrin, »von Kopf bis Fuß.« Sie lacht.
Anna eilt durch den Regen. Sie dreht den iPod auf. Phoenix. Ganz laut. Sie kann nicht mehr, sie muss jetzt echt mal allein sein. Sie kann nicht die ganze Woche Leute um sich haben und dann auch noch das ganze Wochenende. Hoffentlich treffe ich niemanden auf dem Nachhauseweg, denkt sie und zieht die Kapuze von ihrem grauen American-Apparel-Pulli tiefer ins Gesicht.
Zu Hause wirft sie sich aufs Sofa. Sie bleibt einfach dort sitzen. »Boah«, Anna seufzt laut in den leeren Raum. Sie ist erschöpft. Der iPod, den sie einfach abgeschmissen hat, spielt durch die Kopfhörerstöpsel auf dem Holzboden weiter. Anna schaltet ihn mit dem Fuß aus. Endlich Stille.
*
Bastian sitzt neben dem Nudelwasser. Er hört dem Blubbern zu. Vielleicht hätte er auch irgendwas als Soße kaufen sollen. Er stellt die Ketchup-Flasche kopfüber auf den Tisch. Ist ja jetzt auch egal. Er muss erstmal diesen Asi-Alarm da eben verkraften.
Das Telefon klingelt. »Boah«, Bastian seufzt.
»Hier ist dein Bruder«, sagt Michi.
»Na?«, murmelt Bastian. Er hat keinen Bock auf Reden.
Michi nervt ihn mit Orga-Fragen zum Sechzigsten ihrer Mutter. »Du, weißt du, ich hab da jetzt grad echt keinen Kopf für«, unterbricht Bastian ihn.
»Ich kann mich aber sonst nicht darum kümmern, Basti. Ich arbeite nun mal unter der Woche. Ar-beit, weißt du, was das ist …?«
Bastian schweigt. Er ist plötzlich wieder so aggro, dass er das Salz auf dem Herd auskippt.
»… hast du deinen Hartz- IV -Antrag eigentlich schon ausgefüllt oder ab dem wievielten Semester geben die den euch da an der Uni?«
Bastian explodiert. »Nicht jeder träumt davon, so ein scheiße langweiliges Leben als angepasster Versicherungsspacken zu führen wie du«, herrscht er in den Hörer. »Echt, lass mich einfach in Ruhe, Mann!«
Er legt auf. Das Telefon klingelt sofort wieder. Bastian geht nicht ran.
Die Nudeln sind verkocht. »Fuck you«, schreibt Bastian in Zeitlupe mit Ketchup in die geschmacklose Pastamasse.
*
Anna schafft es nicht, vom Sofa aufzustehen. Sie starrt ins Nichts. Draußen ist es dunkel geworden. Im Dämmerlicht, das die Flurbeleuchtung ins Zimmer wirft, schaut sie auf die Gegenstände in ihrem Wohnzimmer.
Alle sind Angebote, laut schweigende Aufforderungen. Alle machen ihr ein schlechtes Gewissen.
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