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Wir haben keine Angst

Wir haben keine Angst

Titel: Wir haben keine Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauer Nina
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keine Energie, zum Telefon zu gehen. Sie bleibt liegen. Und schaut Fernsehen ohne Ton. Der Mann mit dem eckigen Gesicht von »Titel, Thesen, Temperamente« guckt freundlich. Anna weiß, dass Bibi ihr heute nicht beim Einschlafen wird helfen können. Und dass das Hamsterrad sie trotz oder gerade wegen all ihrer heutigen Gedanken morgen wieder voll in Beschlag nehmen wird.
    *
    Bastian ist beim zweiten Bier. Max war auch nicht in Telefonierlaune. Bastian hat das genervt. »Passt schon«, hat er gemurmelt und aufgelegt, als Max meinte, sie könnten ja sonst gemeinsam »Tatort« gucken. Der Tatort war so langweilig, dass Bastian ihn sofort ausschalten musste. Er hätte sich eh nicht auf die Story einlassen können.
    Bastian raucht am Küchenfenster. Er kommt einfach nicht in den üblichen Zeitverplemper-Flow, der sich sonst immer so leicht von selbst einstellt. Die Zeit will heute einfach nicht vergehen. Dafür kommen immer mehr Gedanken. Bastian fragt sich, warum er sich heute Nachmittag eigentlich so gut gefühlt hat. Bei all dem, was er nicht geschissen, gebacken und auf die Kette kriegt. Bei all dem Quark, aus dem er nicht kommt.
    Bastian denkt ans KVV . Irgendwie ist es die einzige Konstante in seinem Leben. Dieses kleine Heftchen des kommentierten Vorlesungsverzeichnisses seiner Uni war in den letzten Jahren sein einziger Kompass. Wenn er sich alle paar Monate wieder ein neues kauft und neue Kurse und Seminare heraussucht, fühlt es sich an wie ein Neustart. Eine neue Chance. Dabei verarscht er sich eigentlich selber. Denn eigentlich tritt er die ganze Zeit auf der Stelle.
    Warum kann er nicht einfach sein wie sein Bruder?, fragt Bastian sich. Michi, der sich selbst nicht so wichtig nimmt. Michi, der einfach gewissenhaft, beständig, verantwortungsbewusst und dabei sogar noch nett ist. Der nicht nur zufrieden tut, sondern es auch wirklich ist. Obwohl er nur bei einer langweiligen Versicherung arbeitet. Und seine Verlobte eine Schlaftablette ist.
    Bastian rollt sich in seiner Bettdecke auf dem Sessel ein. Er kann sich selber nicht mehr beim Denken zuhören. Er hat die Nase sowas von voll von sich selber. Der Fernseher läuft ohne Ton. Guido Knopp versucht, freundlich zu gucken. Bastian weiß, dass weder Tarzan, Karl und Klößchen noch Justus, Peter und Bob ihm heute beim Einschlafen werden helfen können. Und dass morgen Mittag, wenn er aufsteht, sowieso alles wieder wie immer sein wird.
     
    Der Trailer zur Show setzt ein. Das Studio ist in neonblaues Licht getaucht, der silbern-metallene Starumriss erscheint, der Schriftzug, die spacigen Scheinwerfer fahren auf die Bühne. Marco Schreyl grient fanatisch in die Kamera. »Willkommen zur letzten Mottoshow der diesjährigen Staffel von Deutschland sucht den Superselbstverwirklicher!!! Willkommen zu D-S-D-S!!!!!«, schreit er in kranker Euphorie durch den frenetischen Jubel der Massen.
    Bastian sitzt ganz hinten auf der Zuschauertribüne. Er jubelt nicht mit. Nächste Staffel wird er mit dabei sein. Nächste Staffel, das schwört er sich und der Praktikantin, die neben ihm die Mikros sortiert, zeigt er der Welt endlich, was er kann.
    *
    »Ich habe am Wochenende noch mal über meine Metapher aus der letzten Sitzung nachgedacht«, erzählt Anna Herrn G. »Die mit der bescheuerten Castingshow.«
    Herr G. nickt.
    »Ich glaube – und das hört sich jetzt vielleicht merkwürdig an –, ich habe Angst vorm Gewinnen.«
    Herr G. lächelt. Er scheint das nicht so revolutionär überraschend zu finden wie Anna.
    »Ich habe Angst zu verlieren, aber mindestens genau so viel Angst davor, ganz oben anzukommen. Davor, mich dann dort oben halten zu müssen. Und mich dabei kaputtzumachen. Weil ich dann
nie
mehr zur Ruhe komme.«
    »Könnten Sie sich vorstellen, Ihre Ansprüche an sich selbst ein wenig herunterzuschrauben?«, fragt HerrG. Anna ruhig.
    Anna denkt nach.
    »Naja … Wenn ich weniger gebe, schlidder ich ja sofort ab. Dann gibt es sofort vier andere, die es statt mir machen könnten. Und dann kann ich ja nicht wieder Volontärin werden und auf einmal wieder nur das Kabel tragen. Da kann ich mich dann nie wieder blicken lassen. Dann wär ich sofort ganz unten.«
    »Und wenn Sie etwas ganz anderes machen würden?«
    »Aber in allem anderen wäre ich nur Mittelmaß. Und Mittelmaß geht auch nicht. Mittelmaß geht gar nicht.«
    Anna grinst, ironisch, bitter.
    »Das hört sich jetzt so arrogant an. Aber manchmal denk ich, ich wär gern ein bisschen dümmer. Vielleicht würde

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