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Wir haben keine Angst

Wir haben keine Angst

Titel: Wir haben keine Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauer Nina
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Privatwohnung des Kursleiters, statt, in der es nach zu vielen Räucherstäbchen roch und alles mit Batiktüchern verhangen war. Die Leute waren Anna alle zu alt und auf unangenehme Weise wahnsinnig erleuchtet. Sie kannten den indischen Text der Shantis eine Spur zu perfekt auswendig und besprachen vor der Sitzung noch schnell die nächste Karma-Küchen-Session, bei der sie am Wochenende gemeinsam ayurvedisch kochen wollten. Bei der Endentspannung saß der Oberyogi, ein dicklich-fleischiger kleiner Mann mit Glatze in seiner weiten orangenen Leinenhose, genau hinter Annas Kopf. »Wir entspannen unsere Baaaaauuuuuchdecke«, raunte er in unerträglicher Langsamkeit. »Unsere Bauchdecke ist eeeeeeeeentspannt.« Anna öffnete die Augen. Der Yogi strafte sie mit einem irritierten, ernsten Blick. »Entspann dich«, flüsterte er und fuhr ihr mit seiner kleinen Wurstfingerhand über die Augen, als würde er die Augen einer Leiche schließen. »Wir entspannen unseren Darm und unsere inneren Organe«, sagte er wieder laut, für alle. »Unser Darm und unsere inneren Organe sind eeeeeeeeeeeentspannt. Ooooooommmmmmm.«
    Anna ging nie wieder in die Yoga-Höhle. Sie ging zum Orthopäden. Und zum Augenarzt. Und zum Kieferspezialisten.
    »Das ist der Stress«, sagte der Augenarzt zu ihrem Gerstenkorn, der Orthopäde zu ihrem ewigen Schulternhochziehen und der Zahnarzt zu ihrem Zähneknirschen. »Sie sollten sich dringend mehr Auszeiten gönnen.« Anna ließ sich pflanzliche Cremes für das Auge, Massagen für den Rücken und eine Beißschiene für die Nacht verschreiben.
    Sie ging jetzt zum Ashtanga-Yoga. Dort powerte sie sich aus, bis ihr schwarz vor Augen wurde. Danach tat alles weh, Anna fror auf dem Rückweg im kalten Herbstwind und bekam eine starke Grippe. »Das ist der Stress«, sagte der Allgemeinarzt. »Machen Sie lieber eine Zeit gar keinen Sport, ruhen Sie sich lieber aus.«
    Anna blieb zwei Tage im Bett, pumpte sich mit Em-eukal, Umckaloabo, Wick MediNait und Ingwerbonbons voll, bis sie wieder stehen konnte. Seitdem ext sie jeden Morgen zur Prophylaxe ein Fläschchen Orthomol, ein stinkendes, orange-dickflüssiges Vitamingetränk, mit dem sie die braune Omega-3-Lachsölkapsel herunterspült, die im Deckel unter einer Alufolie steckt. Der Zaubertrank kostet zwar ein Vermögen, aber auf der Packung steht, das sei der ultimative Abwehraufbau. Und auch rein marketingtechnisch gesehen sind die Teile ziemlich professionell und glaubwürdig gemacht. Annas Ärzte, Apotheker und die Packungsbeilage sagen zwar, dass man die Fläschchen nur ein paar Wochen, nach starken Belastungen nehmen und dann wieder absetzen sollte. Aber sie alle verstehen nicht, dass Anna unter
permanenter
starker Belastung lebt. Um den vorwurfsvollen Blicken der Verkäufer zu entgehen, kauft Anna ihren Nachschub deshalb immer in unterschiedlichen Apotheken.
    *
    Bastian hat es mit Zen-Buddhismus versucht. Bille hat gemeint, er müsse sich endlich mal entspannen. Im Gegensatz zu allen anderen hat sie schon früh gecheckt, dass seine Lockerheit nur Fassade und er dahinter total unausgeglichen ist. Bastian fand das Zen Center sofort cool. So ernst, so strukturiert und gleichzeitig stresste hier niemand rum. Alle waren freiwillig da. Keiner wollte was vom anderen. Es ging ums Ankommen in der Situation. Hier war es okay, im sonstigen Leben auf der Suche zu sein. Hier war es okay, einfach zu sein, wer man war. Sogar dann, wenn man das selbst gar nicht so genau wusste.
    Die disziplinierten Abläufe, das Schuheausziehen, die einheitliche schwarze Kleidung, die Positionierung im Raum, die Glockenschläge, all das war irrsinnig beruhigend. Gemeinsam mit der Gruppe starrte Bastian im Lotussitz die Wand an. Minuten, gefühlte Stunden, Tage lang. Es war zum Durchdrehen. Aber es war geil. Nichts denken, nichts tun zu dürfen. Komischerweise kam er damit klar.
    Nach der zweiten Sitzung meldete Bastian sich zur gemeinsamen Fahrt raus aufs Land, ins Zen-Kloster, an. Er wollte sich das volle Programm geben. Eine Woche lang um halb fünf wie die traditionellen Mönche aufstehen, kein Wort sprechen, meditieren, Klos putzen, kochen, wieder meditieren. Die Vorstellung fand er abgefahren. Er fühlte sich bereit, sich dem auszusetzen. Bastian verschlang alle Bücher zum Thema aus der Stabi. Er erzählte all seinen Leuten von der großen Kunst des Za-Zen, des Sitzens ohne Absicht, ohne Ziel. Er hatte die Theorie voll drauf.
    Einen Tag vor der Abfahrt betrank Bastian sich mit Bille.

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