Wir haben keine Angst
es nicht hören, wie sie ihm behutsam vorschlug, dass sie ja vielleicht einmal gemeinsam putzen könnten, als Kompromiss, wie sie betonte. Es machte ihn verrückt, wie sie ihn nachts umarmen wollte, wie sie am Tag durch seine Wohnung lief, als wäre es ihr Zuhause, und dabei über ihre Arbeit sprach, über den neuen Film, über ihre Kollegen, ohne dass er danach gefragt hatte. Hannah trieb ihn in den Wahnsinn. Sie muss weg, dachte Bastian.
»Hannah, Hannah, warte mal«, sagte er und zog sie auf den Küchenstuhl. »Ich glaub, ich brauch mehr Raum für mich.«
Sie gab ihm den Raum. Aber es war zu spät. Bastian war kühl geworden. Verschlossen, abwesend, unnahbar. Hannah war machtlos. Regungslos vor ihr sitzend lief Bastian einfach davon.
Und so blieb Hannah nichts anderes übrig, als selbst zu gehen. Sie erklärte ihm, dass sie in ihrem Leben kein verantwortungsloses Spielkind gebrauchen könne. Dass sie sich einen Mann an ihrer Seite wünsche. Und keinen kleinen Jungen ohne Rückgrat und dafür mit Bindungsängsten und Selbstmitleid bis an die Decke. Bastian ließ es über sich ergehen. Gleich würde die Glut ausglimmen.
Hannah nahm ihren Mantel von seinem Sofa. »Ich gehe jetzt«, sagte sie. In ihrer Stimme lag Mitleid, Wut und Verachtung. Sie zog die Wohnungstür hinter sich zu. Bastian atmete auf. Er war wieder frei.
*
Anna löst ihre Hochsteckfrisur. Während sie sich die Zähne putzt, denkt sie daran, wie Katrin und ihr Freund sich jetzt ein Stockwerk tiefer warm zusammen in ihr Bett kuscheln.
Die beiden wollen sich bald verloben. Das hatte Katrin ihr im Café vor einigen Wochen eröffnet und war dabei rot geworden. Anna fand das rührend. Verloben, das passte zu Leuten, die seit dem Abi zusammen waren. Die mit sechsundzwanzig schon ein gemeinsames Auto hatten. Die seit Jahren zusammenwohnten und schon über Kindernamen diskutieren. Die sich mittlerweile immerhin schon mal darauf geeinigt hatten, dass es ein zweisilbiger Name sein sollte. Es passte zu Paaren, die sich schon drei Wochen vor einer Hochzeit brav den Ablaufplan ausdruckten und ihn am Ende besser auswendig konnten als das Brautpaar. Weil sie beide schon lange an den Ablaufplan für ihren eigenen Traumtag denken.
Es muss halt einfach passen, das ist alles, denkt Anna und schmeißt die gebrauchten Wattepads in den Mülleimer. Sie löscht das Badezimmerlicht und kriecht ins Bett.
Nach dem Ende aller Programmpunkte hatte sich Anna mit Bill Murray an der Bar betrunken. Der Vater des Bräutigams schien sie irgendwie adoptiert zu haben. Zumindest lästerte er vor ihr schamlos über sämtliche Gäste, allen voran über den neuen Lebensgefährten seiner Ex-Frau. Er erzählte Anna von seiner soeben gescheiterten dritten Ehe, trank mit ihr Martini, bis ihr alles so egal war, dass sie sogar zu »Tausendmal berührt« tanzen konnte. Anna hatte getanzt, bis ihr schwindelig geworden war. Bis Katrin und Philipp sie abholen kamen. »Wir müssen jetzt in die Heia«, hatten sie in ihrer Sprache gesagt. »Kommst du mit?« Der Vater des Bräutigams hatte Anna zum Abschied umarmt. »Sprechen die etwa immer so?«, hatte er ihr noch beunruhigt ins Ohr gebrummt.
Anna zieht sich die gestärkte Hotelbettdecke über den Kopf. Philipp hatte Katrin eben so sanft angesehen. Unglaublich liebevoll hatte er sie in den Fahrstuhl getragen, Katrin war auf seinem Arm fast eingeschlafen, und dann doch wach geblieben, nur um Anna noch durch die sich schließende Fahrstuhltür zuwinken zu können. Schwerfällig, wie in Zeitlupe, hatte sich die Fahrstuhltür vor der bis zum letzten Millimeter winkenden Katrin geschlossen. Es hatte ausgesehen wie die Schlussszene eines Films.
So langsam schließt sich die Fahrstuhltür, denkt Anna, während sie einschläft.
*
Irgendwie sind wir also an diesem Punkt angelangt, an dem wir jetzt sind. Irgendwann zwischen dem Erasmussemester und jetzt scheinen wir von einer unsichtbaren Zone in die nächste übergetreten zu sein. Um dort anzukommen, wo sich die Fahrstuhltüren so langsam schließen. Um dahin vorzurücken, wo die biologischen Uhren langsam lauter ticken und die Menschen um uns herum sich in immer kürzeren Abständen gegenseitig wegheiraten.
Wir haben nun den Punkt erreicht, an dem unser Zuhause und unsere Bioäpfelchenkinder in nahezu greifbarer Nähe sein könnten. Eigentlich ist das ja etwas Schönes. Nur leider ist es mit uns alles nicht so einfach. Wir sind unfassbar kompliziert. Wir haben unglaubliche Angst.
Und zwar vor
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