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Wir haben Sie irgendwie größer erwartet

Wir haben Sie irgendwie größer erwartet

Titel: Wir haben Sie irgendwie größer erwartet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
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wollte. Er vergaß anzugeben, in welches Washington er wollte, und der Tarnhelm setzte ihn – zweifellos nach dem Prinzip der negativen Auslese – in der gleichnamigen Kleinstadt in der englischen Grafschaft Tyne and Wear ab.
    Vor lauter Begeisterung hatte er fast vergessen, daß er auch den Gesang der Vögel verstehen konnte. Nachdem er nach Nether Stowey zurückgekehrt war, schnappte er in seinem Zimmer ein paar Gesprächsfetzen auf. Zunächst stutzte er, da die Stimmen sehr nahe waren, bis er entdeckte, daß sich direkt vor dem Fenster zwei Raben über die allgemeine Weltlage unterhielten, wobei Ingolfs Tod und dessen Folgen im Mittelpunkt standen. Das erinnerte Malcolm daran, daß er sich wirklich darum kümmern sollte, mehr über die Vorgeschichte seiner neuen Besitzungen in Erfahrung zu bringen. Also begab er sich – unsichtbar und auf der Stelle – in die öffentliche Bibliothek und verbrachte etwa eine Stunde damit, den Text von Wagners Opern zu lesen.
     
    Anstatt sich durch den ganzen Text hindurchzukämpfen – bei dem es sich um deutsche Dichtung handelte, die in irgendeinen merkwürdigen mittelenglischen Dialekt übersetzt worden war –, las er nur die Zusammenfassung der Handlung, die ihm allerdings höchst unwahrscheinlich vorkam. Die Tatsache, daß (anscheinend) alles der Wahrheit entsprach, trug nur wenig dazu bei, den Inhalt zu verbessern. Malcolm hatte zwar noch nie einen ausgeprägten Drang dazu verspürt, sich metaphysischen oder religiösen Spekulationen hinzugeben, aber trotzdem hatte er stets gehofft, daß ein höheres Wesen, falls es so etwas wie eine göttliche Vorsehung überhaupt gab, in seinem Verhalten zumindest ansatzweise logische Züge und einen gesunden Verstand zeige. Doch das war anscheinend nicht so. Andererseits erklärte die Offenbarung, daß das Schicksal der Welt von einem Haufen Vollidioten bestimmt worden war, in gewisser Weise die Probleme des menschlichen Daseins.
    Zum Beispiel konnte man sämtliche von Dummheit geprägten Verrücktheiten einem Gott zuschreiben, der laut der Nibelungensage zwei Riesen damit beauftragt hat, ihm eine Burg zu bauen, obwohl ihm vollkommen klar ist, daß es sich bei dem Preis, den er für sein neues Heim zu zahlen hat, um seine Schwägerin handelt. Aber anscheinend hält Wotan, Herr und König der Götter und Menschen, es nur für recht und billig, Freia, die Schwester seiner Frau Fricka, den Riesen Fasolt und Fafner zu vermachen. Eine vertragliche Vereinbarung, bei der man kostenlos eine Burg erhält und sich gleichzeitig einer angeheirateten Verwandten entledigt, könnte man im landläufigen Sinn als eine Art Sonderangebot bezeichnen; falls dies der Hintergedanke des allwissenden Wotan ist, dann hat er allerdings offenbar die Tatsache übersehen, daß Freia die Hüterin der goldenen Äpfel ist, deren Kraft den Göttern nicht nur den Besuch beim Hausarzt erspart, sondern sie auch vor dem Altern bewahrt. Wenn Freia sie aber nicht mehr mit Äpfeln versorgen kann, werden sie alle alt und welk und sterben. Die Riesen hingegen, die anscheinend nicht einmal die geringsten Grundkenntnisse auf den Gebieten der Politik, Philosophie und Ökonomie besitzen, sind sich dieser Tatsache durchaus bewußt, als sie sich auf diesen Handel einlassen.
    Die unsterblichen Götter stecken jetzt in einem Dilemma. Doch kommt ihnen der mit allen Wassern gewaschene Loge, der Gott des Feuers, zu Hilfe, der den beiden Riesen einredet, sie bräuchten nicht die schönste Frau der Welt, die zufälligerweise auch die Hüterin des Geheimnisses der ewigen Jugend ist, sondern vielmehr einen unauffälligen kleinen Goldring, der aber leider jemand anderem gehöre. Der Ring sei im Besitz von Alberich, einem Zwerg aus den unterirdischen Höhlen Nibelheims.
    Alberich hatte zuvor das Gold aus dem Rhein geraubt, in dem drei sehr hübsche Mädchen, die Rheintöchter, wohnen (vermutlich lange bevor der Fluß so verschmutzt wurde), denen der Schatz eigentlich gehört. Falls jemand, der der Liebe abgeschworen hat (jemandem wie unsereins bleibt da ja gar nichts anderes übrig, sann Malcolm verbittert nach), aus diesem Gold einen Ring schmiedet, verleiht er seinem Besitzer die Herrschaft über die Welt, und zwar auf recht konkrete und dennoch schwer zu bestimmende Art und Weise. Alberich war eigentlich mit der Absicht losgezogen, sich an eine der drei Rheintöchter heranzumachen; da er gleich drei Körbe bekam, verfluchte er die Liebe, stahl das Gold und fertigte den Ring. Wie er

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