Wir haben Sie irgendwie größer erwartet
können. Durch eine Kombination aus Bestechung, ökonomischem Druck und, falls notwendig, militärischer Gewalt dürfte er in fünfunddreißig Jahren unbemerkt, aber um so wirkungsvoller die Alleinherrschaft über die Welt erlangt und sich wahrscheinlich gleichzeitig hundert Magengeschwüre zugezogen haben. Alles hörte sich rundum schrecklich und überhaupt nicht lustig an, und Malcolm wollte da nicht mitmachen. In gewisser Weise fühlte er sich erleichtert. Das, was er sich unter Weltherrschaft vorgestellt hatte, als das Thema zum erstenmal von Ingolf erwähnt worden war, wäre sowohl mit Pflichten als auch mit Rechten verbunden gewesen. So, wie er die Dinge sah, konnte er den Ring genausogut einfach wegwerfen – und zwar zurück in den Rhein, falls die Rheintöchter nicht schon längst an verschmutzten Abwässern gestorben waren –, den Tarnhelm zu seinem eigenen Vergnügen behalten und sich einen Job als Expreßbote suchen …
»Idiot!« sagte eine Stimme.
Erschrocken blickte sich Malcolm nach allen Seiten um, aber niemand war zu sehen … dann erinnerte er sich endlich. Die Stimme gehörte zu einer verschmutzten Taube, die auf dem Fenstersims hockte.
»Was ist denn los?« fragte er.
»Du bist ein Idiot, Malcolm Fisher!« wiederholte die Taube. »Mach das Fenster auf und laß mich rein!«
Obwohl er es allmählich satt hatte, von dummen Tieren beleidigt und gegängelt zu werden, folgte Malcolm der Aufforderung.
»Tut mir leid, ich bin vielleicht etwas direkt gewesen«, entschuldigte sich die Taube, »aber ich mußte dir das einfach mal sagen. Wie du siehst, bin ich ein Vogel, wie der Vogel, der Siegfried die ganzen Jahre über beraten hat.«
»Das bist du nicht«, widersprach Malcolm. »Du bist eine Taube.«
»Richtig. Ich bin eine Ringeltaube. Und wir kümmern uns darum, daß alles im Lot bleibt.«
Das sollte vermutlich logisch klingen. Zumindest ergab es genausoviel Sinn wie alles andere, was Malcolm während der letzten Zeit gehört hatte. »Und warum bin ich ein Idiot?« fragte er. »Was habe ich denn getan?«
»Du verstehst einfach nicht, was der Ring bedeutet«, nuschelte die Taube, den Schnabel voll mit Krümeln von Malcolms Tisch. »Ich meine, du hast die Geschichte erzählt bekommen, hast das Buch gelesen und …«
»Und wann kann ich den Film sehen?« warf Malcolm vorwitzig ein.
»… und dieser Ring ist kein Spielzeug«, fuhr die Taube mit ernster Stimme fort. »Bevor du mich jetzt fragst, woher ich das alles weiß: Es liegt einfach daran, daß ich ein Vogel bin.«
»Ach, ist das wirklich so?«
»Ja, weil ich ein Vogel bin«, wiederholte die Taube, wobei sie sich mit dem Schnabel die zerzausten Federn putzte. »Weißt du, der Ring verleiht einem nicht nur unermeßlichen Reichtum, sondern kann noch ganz andere Dinge, von denen man gar nicht erst zu träumen wagt. Diese Krümel hier sind übrigens sehr gut – ich bin nämlich zur Zeit auf dem Gesundheitstrip. Hast du heute schon die Nachrichten gehört?«
Malcolm blickte auf die Uhr; es war schon fünf Uhr, und er beugte sich vor, um das Radio einzuschalten. Aber noch bevor er den Knopf berührte, war die Stimme der Ansagerin bereits laut und deutlich zu verstehen.
»Das ist ja praktisch«, freute er sich.
»Eine Riesenerfindung«, erklärte die Taube. »Natürlich funktioniert das nur nach dem Selektionsverfahren. Das heißt, man kann den Sender nur hören, wenn man sich bewußt für ihn entscheidet. Ansonsten würde man bei dem ganzen Gequassel im Äther, das womöglich in über hundert verschiedenen Landessprachen übertragen wird, binnen weniger Minuten verrückt werden. Das funktioniert übrigens auch beim Telefonieren.«
»Jetzt erzähl mir bloß nicht, daß ihr Vögel das auch könnt«, staunte Malcolm, der gerade eine verblüffende Entdeckung gemacht hatte: Die Taube sprach nämlich gar nicht. Trotzdem konnte Malcolm sie klar und deutlich verstehen. Obwohl der Vogel den Schnabel nicht öffnete, war es genauso, als höre man eine Stimme oder führe mit jemandem ein Gespräch, der einem den Rücken zugewandt hat – selbst der schwache mittelenglische Akzent der Taube blieb erhalten.
»Und du kannst alles, was wir können, Malcolm, und das genausogut oder sogar noch besser. Zum Beispiel kannst du Gedanken lesen, wie du es ja gerade tust – natürlich auch nur auf selektive Weise. Aber in deinem Fall kannst du sie, wenn du willst, auch überdecken und einfach nichts hören. Das können wir nicht.«
Ein deutlich erkennbarer
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