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Wir haben Sie irgendwie größer erwartet

Wir haben Sie irgendwie größer erwartet

Titel: Wir haben Sie irgendwie größer erwartet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
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und schon verwandeln sie sich in sanfte kleine Lämmchen, in schüchterne Pflänzchen und so weiter. Ich weiß wirklich nicht, was schlimmer ist. Aber zum Glück halten sie wenigstens das Haus sauber. Die Ursache des ganzen Übels ist auf jeden Fall fehlendes Selbstbewußtsein. Wenn unser Ringträger also Ortlinde davon überzeugen kann, daß er es ernst mit ihr meint und sie trotz allem von jemandem geliebt wird, dann braucht er schon ein Brecheisen, um sich wieder aus ihrer Umklammerung zu lösen. Das geschähe dem Idioten ganz recht.«
    »Aber wenn sie dich so sehr haßt, weshalb sollte sie dir dann deiner Meinung nach den Ring besorgen? Wird sie nicht einfach mit ihrem Erlöser verschwinden und dich ganz ungerührt weitermachen lassen?«
    »Ich muß zugeben, das hat mir zunächst auch Sorgen bereitet, aber als ich mir noch mal alles durch den Kopf gehen ließ, habe ich erst gemerkt, wie schlau ich dabei vorgegangen bin«, antwortete Wotan selbstgefällig. »Da Ortlinde den Ringträger auf ihre eigene, einzigartige, neurotische Art liebt, muß sie einfach Erfolg haben. Denn das letzte, was meine Tochter will, ist glücklich zu sein. Glück wäre ihr äußerst zuwider. Nein, sie will für immer zutiefst unglücklich sein, und für das alles soll natürlich ich die Schuld haben. Dadurch ließen sich nämlich alle ihre geliebten Einbildungen, wie ihr Leben rücksichtslos zerstört worden ist, zu guter Letzt bestätigen. Leute wie meine Tochter sind viel eher ehrlich als glücklich. Nein, Ortlinde kriegt schon den Ring, und wenn sie dabei draufgeht.«
    Loge fuhr sich mit der Hand über die Stirn und wünschte, er könnte sich verdrücken und zur Abwechslung einmal etwas weniger Anstrengendes tun, wie zum Beispiel den Sonnenwagen lenken oder das Getreide auf den Feldern wachsen lassen. Aber das kam leider überhaupt nicht in Frage.
    »Das einzige, was bei der Sache schiefgehen könnte: daß der Ringträger herausbekommt, wer Ortlinde in Wirklichkeit ist«, fuhr Wotan fort, wobei er sich ein weiteres Glas einschenkte. »Aber ich glaube, das will dieser Trottel gar nicht herausfinden. Solange es ihm also niemand erzählt, kommt er auch nicht drauf. Ich glaube, er ist genauso schlimm wie Ortlinde. Die beiden sind wirklich wie füreinander geschaffen. Wer weiß, vielleicht bleiben sie sogar zusammen, nachdem Ortlinde den Ring von ihm bekommen hat, und ich muß meine Tochter nie wieder sehen. Wäre das nicht traumhaft? Dann gäb’s nur noch sieben von der Sorte, für jeden Wochentag eine. Aber das ist ziemlich unwahrscheinlich«, fügte er etwas betrübt hinzu. »Wie ich schon sagte: Ortlinde würde durchdrehen, wenn sie glücklich wäre.«
    Der Regen hatte aufgehört, und Loge schloß daraus, daß Wotan ausnahmsweise einmal gute Laune hatte. Damit war zwar die unmittelbare Gefahr der Verwandlung beseitigt, aber er fühlte sich trotzdem immer noch unbehaglich. Denn im Verlauf der letzten paar tausend Jahre hatte er festgestellt, daß auf Wotans gute Launen gewöhnlich Zeiten allgemeinen Elends folgten.
    »Und was machen wir jetzt?« fragte Loge.
    »Wir überlassen das Ortlinde«, erwiderte Wotan und lehnte sich im Sitz zurück. »Ich habe ja immer gewußt, daß sie mir eines Tages noch nützlich sein wird.«
     
    Liebe, sagt der Liedtexter, ist die süßeste Sache der Welt, und von zu viel Süßem kann einem ein wenig schlecht werden. Malcolm war jedoch recht wohlbehalten durch die Liebkosungs- und Zärtlichkeitsphase gekommen und hatte Linda schließlich bewegen können, ihm alles über sich zu erzählen. Sie hatte sich zunächst dagegen gesträubt, und als Malcolm der Geschichte zuhörte, die sie sich endlich von der Seele redete, konnte er den Grund dafür auch gut verstehen. Nicht, daß ihn die Erzählung gelangweilt hätte, aber eine Überdosis an Tragik kann ungefähr die gleichen Symptome hervorrufen wie Langeweile, beispielsweise den starken Wunsch, das Thema zu wechseln. So etwas wäre jedoch nicht taktvoll gewesen. Malcolm hoffte nur, er würde nicht auch dazu aufgefordert werden, eine gleichermaßen umfassende Darstellung von sich selbst zu geben, denn dazu könnte eventuell mehr Einfallsreichtum vonnöten sein, als er selbst zu besitzen glaubte.
    »Weißt du«, erklärte das Mädchen gerade, »meine Schwestern und ich konnten mit unserem Vater nie richtig reden, und er konnte mit uns auch nie richtig reden, und zum Schluß mußte ich feststellen, daß ich nicht mal mehr mit meinen Schwestern reden konnte. Wir

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