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Wir haben Sie irgendwie größer erwartet

Wir haben Sie irgendwie größer erwartet

Titel: Wir haben Sie irgendwie größer erwartet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
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haben immer alles in uns hineingefressen, ehrlich, bis wir schließlich den Drang verspürten, nur noch aufeinander loszugehen. Aber selbst das konnten wir nicht, weil wir eben nicht in der Lage waren, miteinander zu reden. Verstehst du, worauf ich hinauswill?«
    »Ehm, irgendwie schon …«
    »Als meine Mutter meinen Vater verließ, war er ganz offensichtlich todunglücklich. Natürlich hat er versucht, sich nichts anmerken zu lassen, aber wir haben alle genau gewußt, daß meine Mutter ihn genauso im Stich gelassen hatte wie uns und wir unseren Vater irgendwie auch. Und mein Vater hatte natürlich ebenfalls das Gefühl, uns im Stich gelassen zu haben, und darum können wir uns jetzt überhaupt nicht mehr miteinander verständigen.«
    »Das ist ja furchtbar«, entgegnete Malcolm, der sich mittlerweile wünschte, dieses Thema nie angeschnitten zu haben. Für Linda war es offenbar sehr schmerzhaft, auf diese Weise über ihre Probleme zu sprechen, und Malcolm hoffte, sie würde aufhören und sich nicht weiter aufregen. Doch diese Hoffnung war vergebens.
    »Wir merkten alle, welch große Enttäuschung wir für unseren Vater waren. Er wollte, daß wir Karriere machen und im Leben etwas erreichen, aber uns war klar, daß wir ihn nach dem Verschwinden meiner Mutter in dieser Verfassung unmöglich sich selbst überlassen konnten, weil er sich dann vollkommen ausgeschlossen gefühlt hätte, und das wäre wirklich schrecklich gewesen.«
    »Aber du hast doch einen Beruf«, warf Malcolm ein.
    Das Mädchen blickte ihn entsetzt an, als hätte sie einen Fehler begangen. »Na ja, eigentlich schon. Aber das ist ja kein richtiger Beruf.«
    »Wieso nicht? Außerdem wohnst du bestimmt nicht mehr im Haus deiner Familie, oder?«
    »Ja. Nein. Na ja, irgendwie doch. Ich habe zwar mit jemandem zusammen eine Wohnung gemietet, aber ich gehe auch oft nach Hause.«
    Das Mädchen schwieg und starrte auf seine Schuhe. Es waren ganz praktische Schuhe, die schon die verschiedensten Jahreszeiten erlebt hatten, genau wie der praktische Tweedrock und der dazu passende cremefarbene Pullover. Wahrscheinlich hatte ihre Mutter die Sachen für sie gekauft, kurz bevor sie ihren Mann verlassen hatte, dachte Malcolm.
    »Nun ja«, sagte er, wobei er sich bemühte, vergnügt zu klingen. »Jetzt hast du ja mich. Ich kann mich doch um dich kümmern.«
    Die beiden setzten sich auf eine Bank und blickten über den Park. Es war ein wunderschöner Morgen, obwohl es einen kurzen Schauer gegeben hatte. Wenn sie erst einmal die ganzen tragischen Geschichten hinter sich gebracht hätten, wäre bestimmt alles wieder in schönster Ordnung.
    »Was machst du denn so am liebsten?« fragte Malcolm.
    »Oh, weiß ich eigentlich gar nicht.« Das Mädchen dachte lange nach. »Ich glaube Spazierengehen. Und meine Arbeit gefällt mir auch ziemlich gut. Na ja, nein, eigentlich nicht so, aber es ist immer noch besser als gar nichts.«
    »Machen wir doch einen Spaziergang am Fluß entlang«, schlug Malcolm in bestimmtem Ton vor.
    Eine Zeitlang gingen sie schweigend nebeneinander her, dann blieben sie stehen, um den Anblick von Bauer Ayres’ gewaltigem gemischten Blumenmeer zu bewundern. In der Ferne rollte ein Kamerateam der BBC kilometerweise Kabel auf, also dürfte man höchstwahrscheinlich abends in den Neun-Uhr-Nachrichten mehr über das Feld von Bauer Ayres erfahren. Malcolm hätte Linda gern erzählt, daß er höchstpersönlich und nur ihr zuliebe für diese Blumen gesorgt hatte, als ein Beweis seiner großen Zuneigung zu ihr, aber ihm fiel keine Möglichkeit ein, ihr das alles begreiflich zu machen.
    »Wer ist denn das Mädchen da am Flußufer, das dir zuwinkt?«
    Malcolm folgte Lindas Finger und erkannte Floßhilde. Ihm rutschte das Herz in die Hose. »Das ist bloß ’ne Freundin von mir«, antwortete er. »Niemand Wichtiges.«
    »Ich glaube, sie will dir irgendwas sagen … Oh.«
    Malcolm hätte schwören können, daß Linda die Rheintochter erkannt hatte. Aber das war vollkommen unmöglich, deshalb machte er sich nicht einmal die Mühe, einen Blick in ihre Gedanken zu werfen. Am liebsten wäre er einfach weggegangen und hätte so getan, als hätte er die Rheintochter gar nicht gesehen, denn gerade jetzt verspürte er überhaupt keine Lust, sich mit Floßhilde abzugeben – schließlich war sie ein hübsches Mädchen, und Linda könnte vorschnelle und völlig falsche Schlüsse daraus ziehen. Aber leider war es dafür bereits zu spät. Als Floßhilde zu ihnen herübergelaufen

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