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Wir haben Sie irgendwie größer erwartet

Wir haben Sie irgendwie größer erwartet

Titel: Wir haben Sie irgendwie größer erwartet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
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nach oben in die Bibliothek. In Gedanken probierte er schon einmal einige Möglichkeiten durch, wie er das Gespräch auf die Fragen bringen konnte, die er anschneiden wollte, mußte den Versuch jedoch erfolglos abbrechen. Wenn die Zeit gekommen war, würde ihm schon noch etwas einfallen. Er wollte eine Angelegenheit von solcher Wichtigkeit keineswegs überstürzen, auch wenn das Ergebnis von vornherein feststand.
    Sollen sich doch andere Autoren länger mit der Schilderung von Glück und Zufriedenheit aufhalten. Hier genügt es aufzuzeichnen, daß Malcolm mit einem Gespräch über Bibliothekskataloge begann und auf diesem Wege versuchte, seine Botschaft zu vermitteln. Obwohl er Lindas Gedanken lesen und deshalb alle Mißverständnisse vermeiden konnte, fand er es immer noch schwer, die Sache auf den Punkt zu bringen. Zu seinem eigenen Entsetzen wandte er Ausdrücke und Redewendungen an, die sogar in Arztromanen hoffnungslos sentimental gewirkt hätten. Aber schließlich hat jeder das Recht, sich einmal im Leben lächerlich zu machen. Die Hauptsache war, daß jetzt alles in Ordnung kam, und Malcolm hatte es geschafft, Linda davon zu überzeugen. Zunächst war sie ihm sehr zurückhaltend vorgekommen, doch er hatte sich schon so sehr an ihr ›Macht Ihnen das auch bestimmt nichts aus?‹ oder ›Wenn es Ihnen keine Umstände macht‹ gewöhnt, daß er gar nicht mehr darauf achtete, was sie sagte, sondern direkt ihre schnell wie die Ziffern einer Zapfsäule kreisenden Gedanken beobachtete. Als diese schließlich den entsprechenden Punkt erreicht hatten, nahm Malcolm die Hand des Mädchens und drückte sie sanft. Durch den Aufruhr der Gefühle hindurch, der jetzt rings um ihn losbrach, hörte er ein leises Klimpern, als wäre eine Münze zu Boden gefallen. Dieses Geräusch schien Malcolm auf einmal von großer Bedeutung zu sein, und sofort sah er nach unten. Auf dem gebohnerten Holzfußboden erblickte er den Ring, der ihm irgendwie vom Finger gerutscht war. Plötzlich verspürte er den Drang, den Ring dem Mädchen zu schenken; was konnte es für ein besseres Geschenk geben als die gesamte Welt?
    Sie hielt immer noch fest und vertrauensvoll seine Hand. Es wäre ausgesprochen unliebenswürdig von ihm gewesen, jetzt etwas anderes zu tun, als mucksmäuschenstill dazusitzen und das Ziel ihrer Liebe zu sein. Außerdem zeigte sich auf ihrem Gesicht gerade ein besonders schönes Lächeln, weshalb Malcolm den Ring auf dem Boden liegen ließ, bis es vorbei war – zur Sicherheit stellte er allerdings immerhin den Fuß auf das Kleinod.
    Alles, was gesagt werden mußte, war gesagt. Jetzt war offenbar die Zeit zum Handeln gekommen, für einen Kuß oder etwas in der Richtung. Aber Malcolm konnte sich nicht zu einem derartigen Schritt durchringen, obwohl ihm nicht ein einziger Grund einfiel, der dagegen sprach. »Immer hübsch eins nach dem anderen«, flüsterte eine Stimme in seinem Gehirn. »Wir wollen ja nichts überstürzen.« Malcolm begnügte sich also damit, den Arm zärtlich um ihre Schultern zu legen und einen Spaziergang im Garten vorzuschlagen. Das Mädchen fragte ausnahmsweise einmal nicht, ob ihm das auch bestimmt nichts ausmache, und so standen sie beide händchenhaltend auf.
    »Warten Sie kurz«, bat Malcolm. »Laufen Sie nicht weg.«
    Er bückte sich rasch und hob den Ring auf. Nach kurzem Zögern steckte er ihn sich wieder auf den Finger. Der Ring saß locker, als sei er ihm zu groß geworden, und nicht gerade bequem.
     
    »Wie hast du sie bloß dazu gebracht, daß sie zugestimmt hat?« fragte Loge voll Bewunderung. »Das muß ziemlich schwierig gewesen sein.«
    »Eigentlich nicht«, entgegnete Wotan. »Erst mal gab’s das verbissene Schweigen, das wir in unserer Familie ja mittlerweile sehr gut kennen, und dann hat sie gesagt: ›Wenn du darauf bestehst‹, und das war’s. Wie du dir vorstellen kannst, bin ich ganz schön verdattert gewesen. Ich hatte mir alle möglichen Argumente ausgedacht, wie zum Beispiel: ›Du hast doch immer schon gesagt, du willst dich endlich mehr an den Familiengeschäften beteiligen, da kommst du mal aus dem Haus raus, und so eine Abwechslung ist mindestens so gut wie ein Urlaub.‹ Na ja, so was in der Art jedenfalls, und dann brauchte ich gar nichts davon zu erwähnen. Frauen sind schon seltsame Wesen.«
    »Glaubst du, daß sie das schafft?«
    »Na klar. Du hast sie ja bisher nur in ihrem häuslichen Gewand gesehen, als nörgelnden und schikanierenden Hausdrachen.«
    »Welche war das

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