Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wir haben Sie irgendwie größer erwartet

Wir haben Sie irgendwie größer erwartet

Titel: Wir haben Sie irgendwie größer erwartet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
Vom Netzwerk:
kam, legte er den Arm um Lindas Schulter, ungefähr so, wie ein römischer Legionär möglicherweise den Schild hob, bevor er einem Feind entgegentrat.
    »Hallo!« begrüßte ihn die Rheintochter, an deren Benehmen irgend etwas äußerst merkwürdig war. »Ich hoffe, es macht dir nichts aus, aber ich habe ein wenig in deinem Fluß gebadet.«
    Reichlich nervös machte Malcolm die beiden Mädchen miteinander bekannt. Floßhilde blickte Malcolm ins Gesicht, drehte sich um und strahlte das Mädchen an. Eine Sekunde lang war Malcolm überzeugt, gleich werde etwas ganz Furchtbares passieren. Aber es geschah nichts, und Malcolm sagte sich, daß ihm offenbar seine Einbildung einen Streich gespielt hatte. Floßhilde hingegen wirkte ein wenig enttäuscht, obwohl sich Malcolm nicht denken konnte, warum.
    »Kenne ich Sie nicht irgendwoher?« fragte Floßhilde das andere Mädchen. »Ihr Gesicht kommt mir sehr bekannt vor.«
    »Ich glaube nicht«, erwiderte Linda nervös. Offenbar war sie sehr schüchtern.
    »Na, dann ist es wohl Einbildung. Also, ich muß wieder los. Ach so, ich kann dich morgen leider nicht zum Mittagessen einladen, Malcolm. Tut mir leid.«
    »Dann vielleicht ein andermal«, entgegnete Malcolm verlegen. »Bis bald!«
    »Ich denke schon«, antwortete die Rheintochter. »Viel Spaß noch.«
    Sie lief leichtfüßig zum Fluß hinunter und sprang ins Wasser. Linda schien über die ganze Angelegenheit aus einem unerfindlichen Grund überhaupt nicht überrascht zu sein. Malcolm fiel ein Stein vom Herzen, daß ihm somit die schwierige Suche nach einer Erklärung erspart wurde, und er strich Floßhilde aus dem Gedächtnis.
     
    Die Rheintochter kreiste einige Minuten unter der Wasseroberfläche und schwamm dann langsam stromaufwärts zu einem tiefen Loch im Flußbett, wo sie, wie sie wußte, nicht gesehen werden konnte. Der Versuch, die Frau in einen Frosch zu verzaubern, war sinnlos gewesen; so leicht ließen sich Wotans Töchter nicht verwandeln. Aber zumindest hatte sie der Walküre zu verstehen gegeben, daß ihr noch ein schwerer Kampf bevorstand.
    So etwas zu denken, war natürlich gut und schön, aber in Wirklichkeit wollte Floßhilde gar nicht kämpfen. Schließlich war es unvorstellbar, daß Malcolm keine Ahnung von der Identität des Mädchens oder ihren mutmaßlichen Absichten hatte. Und wenn er nun so verliebt war, daß er sich auf das Risiko, das er dabei einging, vorbereitet hatte …? Immerhin war er ja damals, vor dem Auftauchen der Walküre, anscheinend auch auf eine ähnliche Gefahr vorbereitet gewesen, die er mit ihr, der Rheintochter, auf sich genommen hatte. Aber zu der Zeit war er offenbar nicht verliebt gewesen, sondern bloß einsam. Im übrigen sah ein Blinder mit Krückstock, daß Ortlinde vollkommen hin und weg war, deshalb hatte sie wahrscheinlich auch schon längst die Hoffnung aufgegeben, den Ring in die Finger zu bekommen. Jedenfalls war Malcolm in der einzigartigen Lage, genau zu wissen, was in Ortlindes Kopf vorging. Also konnte er auch sehr gut auf sich selbst aufpassen.
    Eitelkeit und verletzter Stolz, sagte sich Floßhilde, das waren ihre eigentlichen Beweggründe gewesen. Daß ihr jemand eine spießige alte Walküre vorziehen konnte, war für sie natürlich schwer zu glauben, aber Malcolm tat das offenbar, da konnte man eben nichts machen.
    Floßhilde lugte hinter einem kleinen Felsbrocken hervor. Das junge Pärchen küßte sich gerade ziemlich unbeholfen im Schatten einer Eiche. Sie zuckte mit den Schultern und ließ sich, grazil wie ein Otter, wieder ins Wasser gleiten. Neben sich bemerkte sie ihre Schwestern, die träge in der leichten Strömung trieben.
    »Ich hab’s dir ja gesagt!« triumphierte Wellgunde.
    »Das ist mir doch alles völlig egal«, entgegnete Floßhilde ungehalten. »Wenn du auch nur ein einziges Wort über den Ring verlierst, dann breche ich dir deinen dämlichen Hals!«
    »Das wäre uns nicht im Traum eingefallen, oder?« fragte Wellgunde in süffisantem Ton.
    »Ich habe England satt«, stellte Floßhilde auf einmal fest, als sie mit ihren Schwestern bei der Quelle des Tone angekommen war. »Warum schwimmen wir nicht einfach wieder nach Hause?«
    »Welch eine ausgezeichnete Idee«, stimmte Woglinde zu. »Also los!«

11. KAPITEL
     
    Bei der jeweils mittwochnachmittags auf Walhalla stattfindenden Vollversammlung der Asen, beziehungsweise der Gesellschaft der Götter, führt Wotan höchstpersönlich den Vorsitz. Auf diesen Versammlungen erhalten die rangniedrigeren

Weitere Kostenlose Bücher