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Wir haben Sie irgendwie größer erwartet

Wir haben Sie irgendwie größer erwartet

Titel: Wir haben Sie irgendwie größer erwartet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
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noch mal?«
    »Ortlinde. Das ist die, die am besten aussieht, aber auch am meisten durchhängt. Allerdings, bei acht Töchtern im Haus komme ich schon mal durcheinander. Vielleicht sollte ich ihnen einfach Nummern auf den Rücken kleben, wie bei den Fußballern. Ich glaube, Ortlinde ist die zweitjüngste. Nimmst du auch noch einen?«
    »Nein danke, ich muß noch fahren.«
    »Das muß ich auch, aber wen interessiert das? So was muß gefeiert werden.« Wotan zog die Tür der Autobar hinter dem Vordersitz auf und nahm eine Flasche Schnaps heraus. »Da schlage ich gleich zwei Fliegen mit einer Klappe. Ich bekomme den Ring unter Kontrolle und werde gleichzeitig ’ne bekloppte Tochter los.«
    »Ich sage das wirklich äußerst ungern …«, tastete sich Loge heran.
    »Ich weiß, ich weiß, letztes Mal hat das auch nicht funktioniert und so weiter und so fort. Aber das war was ganz anderes.«
    »Na ja, so anders nun auch wieder nicht.« Loge war sich bewußt, daß er es etwas weit trieb, aber das mußte nun mal gesagt werden. Falls Wotans Vorhaben nämlich schiefging, würde der Herr und König der Götter und Menschen so wütend werden, daß Loge noch von Glück sagen könnte, wenn er nur mit der Verwandlung in einen Laichplatz für Forellen davonkam. »Immerhin war das mit Siegfried ein ziemlich ähnlich gelagerter Fall. Er hatte vorher auch noch keine Frau gehabt.«
    »Siegfried war kein solcher Schlappschwanz«, widersprach Wotan heftig, »dieser Typ ist aber einer. Und Ortlinde ist genauso ein Lahmarsch. Die hängt derartig durch, daß man sie nicht mal als Wäscheleine gebrauchen könnte.«
    »Neulich ist sie mir aber gar nicht so lasch vorgekommen.«
    »Ach, das ist doch eine ganz andere Geschichte«, winkte Wotan ab. »Da ist mal wieder ihre schwierige Psyche mit ihr durchgegangen. Weißt du, meine Töchter sind alle gleich. Ihrer Ansicht nach habe ich ihr Leben ruiniert, weil ich sie in diese riesige Scheißburg eingesperrt und die Entwicklung ihres Gefühlslebens gehemmt habe, während sie doch viel lieber in die weite Welt gezogen wären und ihren Spaß gehabt hätten. Ich glaube, diesen Standpunkt kann man gut verstehen. Walhalla ist wirklich eine Strafe.« Wotans Gesicht bewölkte sich schon bei dem bloßen Gedanken daran, und prompt fielen die ersten Regentropfen. »Es ist ziemlich schwierig, einem normalen, geistig gesunden Gegenüber das Wesen meiner Töchter zu erklären, aber ich glaube, es ist ungefähr folgendermaßen: Seit dem Weggang ihrer Mutter waren meine Töchter in Walhalla eingesperrt und hatten nichts anderes zu tun als sich zu ärgern und sich immer wieder einzureden, wie unausgegoren und wenig liebenswert sie seien, und daß sich wegen ihrer verkümmerten Persönlichkeit – natürlich durch meine Schuld, das versteht sich ja von selbst – nie jemand für sie interessieren würde. Diesen ganzen Frust lassen sie seither an ihrem armen alten Vater aus, indem sie ihm auf erprobte und bewährte Art und Weise ein fast genauso jämmerliches Leben bereiten wie sich selbst. Und was das heißt, hast du ja neulich miterleben dürfen …«
    Loge hatte im Verlauf dieses großangelegten Erklärungsversuchs pausenlos zustimmend genickt und verständnisvolle Laute von sich gegeben, wovon ihm schon ganz schwindlig war. Eigentlich wollte er gar keine weiteren Einzelheiten mehr hören, aber Wotan schien fest entschlossen, ihm alles bis aufs letzte I-Tüpfelchen zu erzählen. Durch das Zusammenspiel von Schnaps und Entspannung wurde der Herr und König der Götter und Menschen allmählich immer lockerer, obwohl noch abzuwarten blieb, ob ein entkrampfter Wotan ungefährlicher wäre als ein angespannter. Klapperschlangen, fiel Loge ein, recken und strecken sich schließlich auch, bevor sie zubeißen.
    »Zu Hause ziehen meine Töchter also kräftig vom Leder. Nicht daß du glaubst, wir führen lange, ernste Gespräche über den Zustand unsrer geschundenen Persönlichkeiten, beileibe nicht. Nein, meine Töchter haben vielmehr entschieden, daß sie mit mir überhaupt nicht reden können, wie ich zu meiner Freude gestehen darf, und deshalb sublimieren sie – ich glaube, das ist das richtige Wort, oder? – ihre ganze Frustration durch die endlosen Belanglosigkeiten im Haushalt. Zum Beispiel mit Sprüchen wie ›Wer hat als letztes den Tesafilm benutzt?‹ oder ›Wie soll man denn in diesem Haushalt noch irgendwas finden, wenn du immer alles woanders hinstellst?‹. Aber schick sie nach draußen in die weite Welt,

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