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Wir haben Sie irgendwie größer erwartet

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Titel: Wir haben Sie irgendwie größer erwartet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
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Schnabel hackte er eine Reihe kleiner Kratzer in das Acrylglas, und als er damit fertig war, konnte Alberich die in Spiegelschrift in die Scheibe gravierten Worte entziffern: »Wotan sagt, halt dich von England fern.« Er nickte den Raben zu, um den Erhalt der Nachricht zu bestätigen, und die beiden Vögel drehten erschöpft ab. Alberich dachte noch einen Moment lang über die Warnung nach und blickte dann auf seine Uhr. In einer halben Stunde sollte die Maschine in Frankfurt landen.
    Vom Frankfurter Flughafen aus rief er seinen Geschäftspartner an.
    »Dietrich?« meldete sich Alberich. »Hier ist Hans. Hör mal, ich bin jetzt in Frankfurt, aber ich muß gleich wieder nach England zurück. Der nächste Flug geht in drei Stunden. Könntest du mir vielleicht ein paar frische Hemden und die Unterlagen für das Nigeria-Projekt rumbringen?«
    »Wozu mußt du denn noch mal zurückfliegen?«
    »Wie bitte? Ach so, du wirst es mir zwar kaum glauben, aber ich habe meine Aktentasche vergessen. Mit allen Sachen, die ich für die Handelsmesse brauche.«
    »Kannst du dir die nicht schicken lassen?«
    »Das würde zu lange dauern. Ich fliege lieber zurück.«
    »So was, seine Aktentasche zu vergessen!«
    »Ich bin auch nur ein Mensch«, log Alberich. »Vergiß die Hemden nicht.«
     
    Zu seiner eigenen Überraschung hatte es Malcolm doch noch geschafft, eine Mütze voll Schlaf zu kriegen, doch um sechs Uhr war er schon wieder wach. Er ging im Kopf noch einmal die Ereignisse des gestrigen Tages durch, um sich selbst zu versichern, daß alles wirklich kein Traum gewesen war. Tief im Innern glaubte er, dieses seltsame Glück werde bestimmt noch mit Tränen enden, aber diese Skepsis entsprang wohl nur seinem angeborenen Pessimismus. Außerdem gab es ja einen zuverlässigen Weg festzustellen, ob alles seine Richtigkeit hatte oder nicht.
    Malcolm schaltete in Gedanken die Frühnachrichten ein und war sogleich beruhigt. Keine Katastrophen hatten die Welt im Verlauf des vergangenen Tages heimgesucht, obwohl sich ein merkwürdiger Vorfall ereignet hatte. Ein Landwirt aus dem kleinen Dorf Combe in der Grafschaft Somerset war am gestrigen Abend um Viertel vor zehn auf Kaninchenjagd gewesen, als sich sein vier Hektar großes Weizenfeld vor seinen eigenen Augen in ein Meer aus Rosen, Pfingstrosen, Narzissen, Osterglocken und Tulpen verwandelt hatte. Der Landwirt, ein Mr. William Ayres von der Combe Hill Farm, führte diese ungewöhnliche Mutation auf eine undichte Stelle im nahegelegenen Kernkraftwerk Hinckley Point zurück, obwohl die Betreiberfirma solch ein Leck bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt weder bestätigt noch dementiert hatte …
    Malcolm blinzelte und wurde unruhig. Aber Mr. Ayres war bestimmt versichert, und selbst wenn das nicht der Fall sein sollte, konnte er immer noch die Blumen pflücken und damit die Kirche für die Hochzeit seiner Tochter schmücken. Malcolm lachte. Er trug der Familie Ayres überhaupt nichts nach, weder den gegenwärtigen noch den zukünftigen Mitgliedern, und das war für die Welt sicherlich von Vorteil.
    Ihm fiel ein, daß er Linda nicht gesagt hatte, wann das Frühstück fertig sei. Er sprang aus dem Bett, dachte an ein hellblaues Hemd und eine cremefarbene Kordhose und beförderte sich mittels Tarnhelm durchs Haus. Als er an der Bibliothek vorbeikam, hörte er jemanden darin katalogisieren. Obwohl es erst halb sieben war, hatte sich Linda also schon an die Arbeit gemacht. Malcolm lauschte aufmerksam ihren Gedanken, wobei sich sein Mund zu einem liebevollen Lächeln verzog. Sie floh sich nur deshalb in die Arbeit, um ihre Gedanken von der Sehnsucht abzulenken, die sie ganz traurig machte. Eine etwas übertrieben sentimentale Frau, mußte Malcolm unwillkürlich denken, aber das macht ja nichts. Er öffnete die Tür zur Bibliothek und trat ein.
    »Guten Morgen! Sie sind aber schon früh auf«, begrüßte er sie.
    »Ich hoffe, ich habe Sie nicht gestört«, entgegnete das Mädchen ängstlich.
    »Nein, überhaupt nicht«, antwortete Malcolm. »Ich bin eigentlich immer um diese Zeit wach. Möchten Sie auch was zum Frühstück?«
    Nach dem unvermeidlichen ›Wenn-es-Ihnen-nichts-ausmacht‹-Ritual erklärte sie sich bereit, eine Tasse Kaffee und eine Scheibe Toast zu nehmen, und Malcolm lief in die Küche hinunter. Die Kaffeemaschine brauchte anscheinend wieder mal ewig, übrigens genau wie der Toaster, aber schließlich hatte er aus beiden Küchengeräten das Gewünschte herausgeholt und trug das Tablett

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