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Wir haben Sie irgendwie größer erwartet

Wir haben Sie irgendwie größer erwartet

Titel: Wir haben Sie irgendwie größer erwartet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
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schon mit dem Mädchen verlobt, was die ganze Angelegenheit nur noch komplizierter machte …
     
    Bis zur Verlobung hatten Malcolm und das Mädchen, das zum Katalogisieren seiner Bibliothek gekommen war, lediglich sechsunddreißig Stunden gebraucht. Malcolm war sich noch immer nicht ganz sicher, warum er solch ein dringendes Bedürfnis verspürt hatte, diesen sonderbaren und völlig unerwarteten Ausbruch von Liebe im Herzen Somersets formell bekräftigen zu lassen. Doch der Schritt erschien ihm durchaus richtig, so als hätte er einen Vertrag abgeschlossen oder eine Quittung erhalten. Zu seinem größten Erstaunen war sein Antrag sofort angenommen worden. Linda hatte lediglich kurz auf ihre Schuhe geblickt, ihn traurig angelächelt und erwidert: »Wenn du dir sicher bist …« Als Malcolm daraufhin antwortete, er sei sich sicher, gab Linda ihm so etwas wie ein Jawort.
    Bei derartigen Anlässen sollte man eigentlich etwas völlig Überschwengliches tun, aber Malcolm fühlte sich zu ausgelaugt, um seine Kraft mit Herumrennen oder Schreien zu vergeuden. Wie er merkte, war er sogar ausgesprochen deprimiert, obwohl er sich dafür überhaupt keinen Grund vorstellen konnte, und Linda war noch schweigsamer als sonst. Diese nette Szene hatte sich am Fluß in den zum Herrenhaus gehörigen Parkanlagen abgespielt. Die beiden frisch Verlobten saßen eine Zeitlang in tiefem Schweigen beieinander, bevor sie aufstanden und zum Haus zurückgingen. An der Tür wandte sich Linda noch einmal zu Malcolm um und blickte ihn nachdenklich an, dann murmelte sie etwas vom Weitermachen mit dem Katalog.
    »Katalog?« Dachte sie etwa schon an Hochzeitsgeschenke? »Was für ein Katalog?«
    »Den Bibliothekskatalog.«
    »Du willst dich doch jetzt nicht mit so etwas beschäftigen, oder? Ich meine …«
    »Doch, das muß ich.« Linda sah Malcolm erneut an, aber nicht so, wie eine Frau normalerweise ihren zukünftigen Ehemann ansieht. Es war auch kein ›O-Mann-ich-bin-völlig-hin-und-weg‹-Blick, sondern nur ein Blick, nichts weiter. Sie ging nach oben in die Bibliothek.
    Malcolm setzte sich auf die Treppe und hielt sich die Ohren zu. Er war reichlich durcheinander und konnte einfach nicht nachdenken. Mit enormer Anstrengung betrachtete er die neue Situation, mit der er sich sofort befassen mußte, von allen Seiten, und er versuchte sämtliche Aspekte noch einmal so genau wie möglich zu überprüfen.
    So unwahrscheinlich es auch schien, aber wahrscheinlich hatte er es gerade zum erstenmal in seinem Leben geschafft, alles zu regeln. Er hatte sich verliebt, und zur Abwechslung wurden seine Gefühle auch einmal von dem betreffenden Mädchen erwidert. Anstatt sich diese Gelegenheit entgehen zu lassen, hatte er alles geklärt, mehr konnte er nicht tun. Es gab nicht den geringsten Grund, warum er nicht heiraten sollte. Er besaß ein Haus und hatte Geld, also alles, was ein Mann neben einer Ehefrau sonst noch haben sollte. Wenn irgend etwas an der Idee falsch gewesen wäre, hätte ihm Linda nie ihr Jawort gegeben. Sie war also offensichtlich mit der Vereinbarung zufrieden, und er, das verstand sich von selbst, hatte sich nichts auf der ganzen weiten Welt sehnlicher gewünscht. Wirklich nicht? Nein, fuhr Malcolm in Gedanken fort, wahrscheinlich wirklich nicht. Allerdings schien eine Heirat wohl auch kein so furchtbar ›erwachsener‹ Akt zu sein, andererseits aber eigentlich doch, oder? Auf jeden Fall war er glücklich, soweit er das beurteilen konnte. Ihm fehlte nichts – im Gegenteil, er konnte sich sogar auf eine Menge schöner Dinge freuen.
    Malcolm beugte sich vor und stützte die Ellbogen auf die Knie. Ihm fiel ein, daß er Linda ja erst seit zirka anderthalb Tagen kannte und womöglich ein wenig voreilig gehandelt hatte. Doch dieser Gedanke war pure Feigheit, deshalb verbannte er ihn umgehend wieder aus dem Kopf. Sein Problem war, so glaubte er, daß er sich wahrscheinlich davor fürchtete, glücklich zu sein oder auf einmal das zu besitzen, was er sich immer sehnlich gewünscht hatte. Allerdings verspürte er nicht die geringste Lust, den Grund für seine Angst herauszufinden.
    Er stand auf und begab sich langsam nach oben in die Bibliothek. Linda saß an einem Tisch, auf dem sich die Bücher stapelten, und machte irgendwelche Eintragungen in einen Band, der wie ein Hauptbuch aussah. Sie hörte ihn nicht hereinkommen. Malcolm blieb stehen und blickte sie eine Weile an. Das Leben, so wurde ihm in diesem Moment klar, ist vergänglich, deshalb

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