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Wir haben Sie irgendwie größer erwartet

Wir haben Sie irgendwie größer erwartet

Titel: Wir haben Sie irgendwie größer erwartet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
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merkte, daß in dieser Sache tatsächlich ein Widerspruch steckte.
    »Ich glaube, der Ringträger weiß schon längst, wer Ortlinde ist, aber das interessiert ihn nicht die Bohne«, rückte die Norne aufgeregt mit ihrer Theorie heraus. »Die Rheintöchter haben versucht, ihn darüber aufzuklären, aber er wollte nichts davon wissen.«
    »Wie kommst du denn darauf?« fragte der Troll.
    »Ganz einfach«, erwiderte die Norne etwas selbstgefällig. »Sie haben es ihm zu erklären versucht, und ihn hat das überhaupt nicht interessiert. Aber sie wissen genau, Wotan hat keine Ahnung davon, daß dem Ringträger längst klar ist, wer Ortlinde in Wirklichkeit ist. Deshalb drohen sie, dem Ringträger alles zu erzählen, weil sie hoffen, Wotan könnte Ortlinde aufgrund dieser Drohung die Anweisung geben, die ganze Geschichte zu beenden und nach Hause zu kommen.«
    Der Troll starrte auf den Boden seines Glases und versuchte, die grammatische Konstruktion der eben gehörten Sätze zu entwirren. Die Norne entnahm diesem Schweigen, daß der Troll noch nicht vollkommen überzeugt war, und führte deshalb ihre These näher aus.
    »Also, wenn Wotan keine Ahnung hat, daß der Ringträger Bescheid weiß, dann hat er natürlich Angst, die Mädchen könnten dem Ringträger reinen Wein einschenken. Die Mädchen hingegen werden versuchen, Wotan zu zwingen, so eine Art Abkommen mit ihnen zu treffen, denn den Ringträger können sie nicht dazu bringen, mit Ortlinde Schluß zu machen, weil der Ringträger ja vermutlich schon längst Bescheid weiß – ich meine, er muß einfach Bescheid wissen, oder? Aber sie können Wotan zwingen, Ortlinde die Anweisung zu geben, die ganze Sache fallenzulassen, wenn es ihnen gelingt, Wotan weiszumachen, der Ringträger habe keine Ahnung. Verstehst du jetzt, was ich meine?«
    »Hast du dir das alles ganz allein ausgedacht?« fragte der Troll voller Bewunderung. Die Norne errötete, und der Troll lobte sie: »Das ist wirklich ganz schön schlau. Aber was ist mit der anderen Sache?«
    »Welcher anderen Sache?«
    »Na, du weißt schon.« Der Troll vollführte eine unbestimmte Geste mit der riesigen Pfote. »Die andere Sache. Ich hab’s genau gerochen, als die Mädchen reingekommen sind.«
    Jetzt blickte die Norne verdutzt drein. Der Troll gab sich große Mühe und dachte scharf nach.
    »Warum hat der alte Wotan die Mädchen wohl nicht in irgendwas verwandelt, als sie ihm eben so unverschämt gekommen sind?« fragte er schließlich. »Das beantworte mir mal!«
    »Er hat’s versucht, kurz bevor er aus dem Saal gestampft ist«, entgegnete die Norne.
    »Genau«, bestätigte der Troll. »Er hat’s versucht, aber er konnte es nicht. Irgendwas hat ihn daran gehindert.«
    »Was denn?« hakte die Norne aufgeregt nach.
    »Das weiß ich nicht. Woher auch? Auf jeden Fall haben’s die Rheintöchter mit in den Saal gebracht. Ich hab’s genau gerochen. Irgendwas hat sie beschützt, zumindest Fräulein Floßhilde. Hast du’s nicht gerochen?«
    »Ich bin im Riechen nicht besonders gut«, gab die Norne zu, die auf einem naßkalten Moor lebte und pausenlos erkältet war. »Glaubst du, das war irgendeine höhere Macht?«
    Der Troll hatte für heute genügend Denkarbeit geleistet. Schließlich bestand sein Gehirn aus Sandstein, und außerdem hatte er etwas ganz anderes auf dem Herzen. Er blickte die Norne an und versuchte das erste Mal in seinem Leben zu lächeln.
    »Du bist wirklich ganz schön schlau«, schmeichelte er ihr erneut. »Kommst du öfter hierher?«
    Die Norne wurde bezaubernd rot. Sie stellte fest, daß der Troll wunderschöne Augen hatte. Wen kümmerte es schon, wenn eins davon mitten auf der Stirn saß? Das Gespräch entfernte sich bald vom Ringträger und dieser höheren Macht mit jenem eigenartigen Geruch, was in gewisser Weise paradox war; denn der Themenwechsel und die dafür verantwortlichen Gefühle waren zum großen Teil auf deren Einfluß zurückzuführen.
    Bis zu einem bestimmten Punkt war die Theorie der Norne vollkommen richtig. Malcolm hatte tatsächlich die wahre Identität des Mädchens festgestellt, das er liebte; aber nicht durch die Hilfe der Rheintöchter und erst recht nicht durch Alberich, der schnellstens von Deutschland nach England zurückgeflogen war, um ihn aufzuklären. Malcolm hatte die Neuigkeit erst gehört und schließlich auch geglaubt, als sich ihm in der Bond Street ein Spatz auf die Schulter setzte und die Mitteilung ins Ohr zwitscherte. Zu dieser Zeit war Malcolm natürlich

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