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Wir haben Sie irgendwie größer erwartet

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Titel: Wir haben Sie irgendwie größer erwartet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
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danach wäre er mit Linda endlich richtig verlobt.
    Der Spatz schoß wie eine Kugel durch die Luft und landete etwas ungeschickt auf Malcolms Schulter, der den Vogel allerdings nicht einmal zu bemerken schien, denn er hatte jetzt ganz andere Dinge im Kopf.
    »Tu das nicht!« kreischte der Vogel. »Das ist Wotans Tochter!«
    Im ersten Moment war Malcolm nicht klar, woher die Stimme kam. Doch dann spürte er Federn über die Wange streichen und zuckte zusammen. Dabei ließ er den Ring fallen, der schnurstracks in den Rinnstein rollte.
    »Das ist Wotans Tochter! Das ist Wotans Tochter! Das ist seine Tochter!« schrie der Spatz. Malcolm fuhr wütend mit der linken Hand durch die Luft und schlug sich mit der offenen Handfläche auf die rechte Schulter. Er fühlte, wie etwas Weiches unter seinen Fingern knackte, und die Stimme verstummte schlagartig. Der tote Vogel rollte an Malcolms Arm hinunter, fiel auf den Bürgersteig und landete in einer Pfütze, wo er wie ein Stofftier liegenblieb.
    Linda bückte sich, um den Ring aufzuheben. Ohne sich bewußt zu sein, was er tat, stellte Malcolm den Fuß darauf. Mehr konnte er nicht tun, aber anscheinend genügte das schon, denn Linda trat mit einem Blick vom Rinnstein zurück, der Malcolm nicht besonders gefiel.
    »Ich liebe dich wirklich«, versicherte sie.
    Malcolm merkte auf einmal, daß er – völlig ungewollt – Lindas Gedanken las.
    »Ich liebe dich auch«, entgegnete er, woraufhin er sich bückte und den Ring aufhob. »Wenn ich dir den Ring jetzt schenke, nähmst du ihn dann an?«
    »Ja«, antwortete Linda.
    »Und du würdest ihn deinem Vater geben?«
    »Ja.«
    Malcolm verschloß den Ring der Faust. »Es regnet«, sagte er. »Du holst dir noch ’ne Erkältung.«
    Linda blickte auf ihre Schuhe und schwieg. Malcolm schob sich den Ring wieder langsam an dem Finger. Er wollte ihn Linda in diesem Moment lieber denn je schenken, doch da der Ring jetzt unheimlich fest auf dem Finger saß, bezweifelte er, ob er ihn ohne Seife und Wasser überhaupt wieder abbekäme. Es gibt die alte Weisheit, daß in dem Tod eines Spatzen göttliche Fügung liege, aber Malcolm hatte das nie wirklich verstanden.
    Er öffnete Linda die Wagentür. »Sind wir denn jetzt immer noch verlobt?« fragte er.
    »Ich habe keine Ahnung«, antwortete sie. »Sind wir verlobt? Ich meine, hat das noch einen Sinn?«
    »Aber wir lieben uns doch, oder? Ja, wir lieben uns«, fügte er hinzu, da er wußte, wie unschlüssig Linda manchmal sein konnte. »Und darum ist unsere Verlobung die sinnvollste Sache der Welt.«
    »Alles, was ich dir von meiner Familie erzählt habe, ist wahr«, erwiderte sie, während sie sich anschnallte. »Deshalb glaube ich nicht, daß es wirklich Sinn hat, oder?«
    Diesem Argument konnte Malcolm nicht ganz folgen, aber das störte ihn nicht weiter, schließlich konnte er Lindas Gedanken lesen – alles war so furchtbar albern.
    Erst als sie sich auf der Autobahn befanden, brach Malcolm das Schweigen, das seit der Abfahrt aus London geherrscht hatte.
    »Offenbar weißt du, wer ich bin«, sagte er. »Von daher ist dir auch klar, daß ich Gedanken lesen kann. Ich bin in der Lage, genau zu sehen, was du wirklich denkst.«
    Linda schwieg.
    »Wahrscheinlich ist das nur recht und billig, weil du ja sowieso nie was sagst«, fuhr Malcolm gereizt fort. »Denk dran, ich kann deine Gedanken genau lesen, du brauchst mir also gar nicht erst was vorzumachen. Verdammt noch mal, du liebst mich doch mehr als ich dich!«
    »Das müßtest du selbst am besten wissen.«
    »Dann sei ruhig und hör zu. Du mußt deinem Vater den Ring doch gar nicht geben.«
    »Und du mußt ihn ja nicht behalten.«
    Malcolm hätte sie am liebsten gepackt und richtig durchgeschüttelt, aber er wurde gerade von einem Lastwagen überholt und brauchte beide Hände zum Lenken. »Begreifst du denn überhaupt nichts?« schrie er. Linda starrte auf die Fußmatte und schwieg.
    »Wenn ich mich nur halb so mies fühlen würde wie du, käme ich aus dem Heulen gar nicht mehr raus«, hielt er ihr schonungslos vor. »Aber so was kann dir natürlich nicht passieren, wie?«
    Malcolm zog den Wagen nach links auf den Seitenstreifen und brachte ihn zum Stehen. Am Himmel kreisten zwei Raben. Malcolm sagte Linda seine Meinung, teils recht lautstark, teils ziemlich leise, und nach einer Weile fing er an zu weinen. Doch Linda schwieg nach wie vor. Es hatte keinen Sinn weiterzureden.
    »Also schön«, flüsterte Malcolm, »du kannst ihn haben. Aber jetzt noch

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