»Wir haben soeben unsere Reiseflughöhe vergessen«
ersten Blick ihren Status, ebenso die Anzahl ihrer Reisetaschen. Mit ihren Extrakoffern, die sie für die vielen Einkäufe in Übersee brauchen, sehen sie fast aus wie glamouröse Obdachlose. Ich kenne eine Senior-Flugbegleiterin, die ihre London-Flüge grundsätzlich mit einer Tasche fürs Mittagessen, einer für den Computer, einer für die Zeit des Aufenthalts sowie zwei großen Hartschalenkoffern antritt: Einen braucht sie für ihre Klamotten, den anderen für die Espressomaschine. Für einen vierundzwanzigstündigen Aufenthalt! Sie kocht jeden Morgen in ihrem Zimmer den Kaffee für die gesamte Crew, weil es im Londoner Hotel nur Wasserkocher auf den Zimmern gibt. Auf dem Rückflug von Heathrow müssen ihr Piloten die Treppe zur Maschine hinaufhelfen, nachdem der Crew-Transporter sie auf dem Rollfeld abgesetzt hat.
In den kleineren Kurzstreckenfliegern arbeiten normalerweise Junior-Flugbegleiter, während die Crew einer Großraummaschine in aller Regel aus langgedienten Mitarbeitern oder Flugbegleitern auf Abruf besteht. Langstreckenflüge werden mit größeren Maschinen und häufig auch einem zusätzlichen Piloten geflogen, damit das Cockpit stets mit zwei Personen bemannt ist, wenn einer eine Pause einlegt. Für Flugbegleiterinnen ist die Arbeit auf einer Großraummaschine wesentlich angenehmer: nicht nur weil die Passagiere es bequemer haben und sich folglich weniger häufig beschweren, sondern auch weil sie besser abtauchen können, wenn ein Fluggast sich als besonders schwierig entpuppt. Da längere Flüge fast immer mit längeren Aufenthalten der Reisenden einhergehen, müssen sie ohnehin einen Teil ihrer Taschen einchecken und später am Gepäckband warten. Sie geben deswegen meist alle ihre Taschen auf und kommen unbelastet an Bord, wo sie mit einigermaßen fröhlichen Gesichtern ihre Plätze einnehmen und das Boarding ohne jeden Stress vonstattengeht. Glauben Sie mir: Es gibt nichts Nervtötenderes für einen Passagier (und für einen Flugbegleiter) als den ewigen Kampf um den – nicht vorhandenen – Platz in den Gepäckfächern. Wer seine Taschen von vornherein aufgibt, hat in der Regel den angenehmeren Aufenthalt an Bord. Manchmal ist er sogar so angenehm, dass er oder sie sich beim Aussteigen für den schönen Flug bedankt.
Bei Inlandsflügen sieht das leider etwas anders aus. Müssen wir uns schon beim Boarding mit den Gästen darüber streiten, wo sie ihre Habseligkeiten verstauen dürfen, stehen sie uns von Anfang an ablehnend gegenüber. Dann lächelt ganz schnell keiner mehr, nicht mal die Flugbegleiter. Sie sollten wissen, dass meine Kollegen und ich stets um jeden Preis versuchen, Verspätungen zu vermeiden, denn wenn wir die Schuld für eine Verzögerung tragen, bekommen wir im schlimmsten Fall eine Strafe aufgebrummt. Wenn wir zu oft eine Verspätung verschulden, verlieren wir irgendwann unseren Job. Das erklärt auch, weshalb wir die Passagiere irgendwann in einem barschen Ton dazu auffordern, zur Seite zu treten, während sie ihre Sachen verstauen. Wir müssen den reibungslosen Ablauf des Boardings und einen pünktlichen Start gewährleisten. Und weil die Tür des Flugzeugs erst zugemacht werden darf, wenn alle Gepäckfächer geschlossen sind und jeder Fluggast sitzt, schieben meine Kolleginnen und ich meist hektisch Taschen und Bordkoffer hin und her, bis auch die letzten einen Platz gefunden haben. In solchen Momenten bleibt leider wenig Zeit für Lächeln und Smalltalk. Sonst riskieren wir, dass das Gate uns die Schuld für die Verspätung aufs Auge drückt.
»Hey, das ist meine Tasche«, bekomme ich oft zu hören.
»Ich … schiebe … sie … doch … nur … ein … Stück … beiseite«, antworte ich dann und wuchte sie in eines der umliegenden Gepäckfächer, sorgsam darauf bedacht, sie nicht auf den Kopf des Menschen unter mir fallen zu lassen.
»Hätte ich gewollt, dass sie in diesem Fach liegt, hätte ich sie wohl hineingelegt!« Okay, eine Frage: Was ist Ihnen lieber? Dass Ihre Tasche in einem bestimmten Fach liegt oder dass Sie rechtzeitig Ihr Ziel erreichen beziehungsweise Ihren Anschlussflug kriegen?
»Bringen Sie mir meinen Trolley nach der Landung wenigstens wieder her?«, blaffte mich ein Mann an, als ich auf ein Gepäckfach drei Reihen weiter hinten zeigte, nachdem er sich beschwert hatte, für seinen Bordkoffer sei kein Platz mehr. Der Vielflieger-Pass am Griff verriet mir, dass er seine Frage selbst beantworten konnte, aber manche Leute brauchen nun mal
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