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Wir hatten mal ein Kind

Wir hatten mal ein Kind

Titel: Wir hatten mal ein Kind
Autoren: Hans Fallada
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Lichter, dann kam ein Knick, Gebüsch, Wald schoben sich dazwischen, die Lichter waren fort.
    Er kehrte wieder um. Da lag es von neuem, das Dorf mit seinen Lichtern, wütend starrte er hinüber, einen dicken Ast, der ihm die Mütze vom Kopf fegen wollte, riß er ab und schlug damit wild auf die Ufersteine los. Dann pumpte er seinen Brustkasten voll Luft, legte die Hände an den Mund und schrie: Hol über!
    Er schrie drei Minuten, er schrie fünf Minuten, er schrie unermüdlich Hol über, die Lichter blinzelten. Dann ging eines am linken Dorfende aus, dann eines in der Mitte. Er stand in atemloser Wut.
    Plötzlich war es ihm, als riefe etwas hinter ihm, nicht sehr weit ab: Hallo! Er fuhr herum, lauschte. Es war richtig, eine helle hohe geisterhafte Stimme rief nicht sehr entfernt: Hallo!
    Mit einem Ruck warf er sich wieder ins stachlige Geäst, die Stimme rief unermüdlich weiter: Hallo! Hallo! Brechend, tretend, selber rufend, kam er ihr näher, wieder wurde es heller, |37| die Geisterstimme rief noch einmal Hallo! … er brach durch die letzten Büsche, wieder stand er am Wasser, die Stimme war verstummt. Er rief, er rief, alles blieb stumm. Aber er war doch sicher, der, der eben noch gerufen hatte, mußte ja in seiner allernächsten Nähe sein, er fragte halblaut: Ist hier jemand?
    Nichts, nichts. Und plötzlich etwas wie ein leises Rascheln.
    Ja?! schrie er schreckhaft.
    Ein ruhiger Mann stand da, mit erhobenem Arm. Er ging zögernd auf ihn zu, er fragte: Haben Sie gerufen? Der Mann antwortete nicht, er ging noch einen Schritt, noch einen, fragte: Ja?
    Der Mann stand drohend und schweigend da, nun berührte er seinen Rock – nein, es war eine Weide.
    In diesem Augenblick fing es wieder an zu rufen, nicht übermäßig entfernt, aber doch immer so weit, daß es unmöglich der Rufer von eben sein konnte. Er stand da, er fühlte ein Schaudern, Kindergeschichten, Spukgeschichten fuhren durch seinen Kopf. Er erinnerte sich an eine Erzählung seines Vaters. Der war durch das Kirchdorf gegangen, die alte Behn hatte mit dem Reiserbesen vor ihrer Katentür gestanden. Plötzlich war sie vor den Augen seines Vaters fort gewesen, und ein Kolkrabe war schwarz und krächzend von der Schwelle hochgeflogen.
    Das hatte sein Vater noch mit eigenen Augen gesehen, und seitdem war die alte Behn von ihm zum Besprechen des Viehs in den Stall geholt worden.
    Die geisterhafte helle Stimme rief und lockte Hallo! Hallo! Er schüttelte alles von sich ab, rief einmal kurz Hallo und machte sich von neuem auf den Weg durch das Unterholz. Mit dem Wasser hier, nicht nur mit der Stimme, war es komisch, wohin er auch lief, er kam auf den Strand. Ihm dämmerte, daß es wohl ein Inselchen sein könnte, er machte kurz kehrt, befreite sich aus dem Gestrüpp und ging, so leise er nur vermochte, das Ufer entlang.
    |38| Erst schien er von der Stimme abzukommen, aber dann klang sie rasch näher und näher. Er schlich immer sachter und langsamer, sie rief, rief jetzt in längeren Abständen ihr Hallo. Er war sehr nah an der Stimme, aber es war auch sehr dunkel, da der Wald beschattend bis dicht an den Strand trat. Er glaubte etwas Weißliches, etwas Graues zu sehen, er stand atemlos. Ja, da hob das Graue etwas wie Arme zum Mund, schrie Hallo – mit einem Sprung wollte er darauf zu. Und fühlte sich von hinten geisterhaft gehalten.
    Eine Sekunde erstarrte alles in ihm vor panischer Angst, dann spürte er die Schwäche der klammernden Arme, er riß sich herum und los. Mit einem leisen Aufschrei stürzte sich der Schemen wieder auf ihn zu, er kriegte ihn am Arm zu fassen – ach, ein Weib, nur ein Weib!
    Er griff fester. Und ein zweiter Schemen stürzte herbei, streifte ihm die Mütze vom Kopf, riß wild an seinen Haaren, daß er unterdrückt aufschrie … Dann spürte er einen grimmigen Biß in der Hand, die den ersten Schemen noch hielt …
    Mit einer gewaltigen Anstrengung riß er sich los, schlug blindlings um sich und stürzte in das rettende, bergende Kieferngestrüpp. Der Spuk blieb hinten.
    Er preßte sich zwanzig, dreißig Schritte weit durch die Stämmchen durch, stand lauschend. Alles war still, nur ein bißchen Nachtwind in den Zweigen, der Spuk verblasen, zerstoben. Ziellos machte er noch drei, vier Schritte – und da war das Licht vor ihm, das rote spärliche Licht, das er von der See gesehen hatte!
    Er stand atemlos vor Überraschung, erlöste Freude wollte aufkommen und zerging wieder, alles verzerrte sich ins Unwirkliche, die halloenden
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