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Wir hatten mal ein Kind

Wir hatten mal ein Kind

Titel: Wir hatten mal ein Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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eben, bis er ein bißchen schläfrig wird. Aber die Hauptsache ist doch, daß du ihn bei diesem Wetter nach Haus kriegst, Hannes.
    Ja, ja, sagte Johannes gedankenvoll, und dachte böse an die drei hölzernen Eggen, die angefroren auf dem Felde liegengeblieben waren und die nun verkamen. Er hatte versucht, sie allein in den Schuppen zu schaffen, aber dafür war er noch zu schwach. Der Pferdeknecht hatte ihn spöttisch gefragt, ob er jetzt der Großbauer geworden sei, daß er schon Anordnungen gäbe, und Alwert hatte natürlich wieder mal keine Zeit gehabt.
    Johannes saß da mit dem langen, schmalen, mageren Gesicht, über dem Nasensattel selbst jetzt Sommersprossen, mit sehr hellen Augen. Die Zähne hatte er fest aufeinander gebissen, er brummte sein Jaja nur, er mußte immer an alles denken, was jetzt auf dem Hof verkam und gestohlen wurde. Er war sehr böse, auf die Schule, die ihn nicht zur Hofarbeit kommen ließ, auf Alwert, den Gleichgültigen, auf Schwester Frieda, die nicht einsehen wollte, daß Hofarbeit wichtiger war als Hausarbeit, auf die Mutter, die ewig Kinder kriegte und darüber zu nichts kam, nur nicht auf den Vater, der eben so war, wie er war. Daran war nichts zu ändern, wie eben auch an dem Frost draußen nicht. Aber er sprach von alldem nicht. Er biß die Zähne zusammen und dachte darüber nach, wie er es dem Vater beibringen könnte, ohne daß der zornig würde. Als sie nun so alle drei dasaßen, alle drei Kinder derselben Mutter, in derselben Stube und jedes sehr allein für sich, als da der |81| Wind gegen die Scheiben fauchte, die Eisränder immer höher krochen, die Nacht fast von Minute zu Minute mondheller und strahlender wurde, hörten sie heranklingendes Schlittengeläute, dann das rasende, zornige Gebell der Hundemeute, das Knallen der Fahrpeitsche, Winseln getroffener Hunde und das beruhigende Hoho! des Kutschers zu den Pferden.
    Johannes war der erste draußen. Nachbar Schlicht rief ihm zu, daß der Vater nicht habe mitfahren wollen, aber schon kurz vor ihm aufgebrochen sei aus dem Krug. Der Schlitten klingelte wieder los. Hannes schlüpfte in seine kaninchenfellgefütterte Joppe, setzte eine Pelzmütze auf und lief in Holzpantoffeln los, ohne auf das zu achten, was ihm Frieda nachrief. Kaum war er von der Hofstatt, sprang ihn der eisige Ostwind an, daß das Atmen in Nase und Lunge schmerzte. Aber er lief scharf weiter. Auf der Chaussee schlitterte er lange, lange Strecken im Mondlicht auf dem spiegelglatt gefahrenen Schnee. Es war bis auf das Windrauschen und das Brummen der Telegrafendrähte totenstill. Kein menschlicher Laut, kein Hundebellen, alles hatte sich in die Häuser verkrochen.
    Der Junge lief immer weiter. Er sah schon in der Ferne über dem flachen Land die weiß beschneiten Dächer des Kirchdorfes, er überlegte, in welchem der Häuser der Vater vielleicht klebengeblieben sein könnte. Dann sah er ihn in der Auffahrt zum Windmühlenhügel sitzen, mit offener Joppe im Winde auf einem Stein. Auf einem andern Stein stand in Reichweite eine Selterbuddel.
    Macht kalt, Vater, sagte der Junge und blieb vor dem Alten stehen. Der Alte sagte nichts. Er saß stillschweigend da. Sein Gesicht sah grauweiß aus im Mondlicht, die Augen waren schwarze, grundlose Höhlen, der Mund mit dem Bart ein schwarz hingewischter dicker Strich. Kommst du nicht heim, Vater? fragte der Junge. Ist doch kalt auf dem Stein.
    Der Vater machte eine abwehrende Handbewegung. Er murmelte was wie: Laß, hat doch keinen Zweck. Damit faßte er nach der Flasche.
    |82| Der junge Johannes begriff, daß Vaters Sauftour wieder einmal am Ende war, daß der Vater aber an diesem Abend so viel getrunken hatte, daß er jetzt ganz verzweifelt war und sich selbst vor ihm, seinem Sohne, schämte. Er begriff, daß es jetzt nicht mehr um schlecht zugedeckte Kartoffelmieten und gestohlene Milch ging, sondern nur darum, den Vater heimzukriegen. Daß der aber gar nicht mehr heim wollte, sondern hier sitzenbleiben, voller Wut auf die Welt und voller Scham über sich selbst, sitzenbleiben, bis er steifgefroren war.
    Der Junge begriff das alles in den zwei oder drei Sekunden, die der Vater nach der Schnapsflasche grabbelte, und gerade als der Vater sie an den Mund setzen wollte, sagte er: Mich friert mächtig, Vater, laß mich auch einen trinken.
    Der Vater behielt die Flasche weiter an den Lippen, aber er hob das Gesicht etwas gegen den Sohn. Er trank noch nicht, er fragte: Trinkst du jetzt Schnaps, Hannes?
    Wenn mich so friert,

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