Wir hatten mal ein Kind
zufällig da, und so gingen sie wieder durch Zufall ab, bei irgendeiner kleinen lächerlichen Krankheit, oder auch in einem Jauchenloch – es kam schon nicht darauf an.
Dieses letzten Falles, des mit dem Jauchenloch, erinnerte sich Johannes Gäntschow durch sein ganzes Leben sehr genau, denn damit war sein schlimmer Streit mit dem Vater verknüpft, der ihn vom Hof und in die Welt hinaustrieb. Das war in einer jener Zeiten gewesen, da sein Vater wieder einmal – zum wievielten Male! – Freundschaft mit allen seinen Nachbarn, mit denen er sich durch Jahre verstritten hatte, schloß und entweder im Kirchdorfkruge oder auf den umliegenden Höfen oder bei sich wochenlang herumtrank. Malte Gäntschow war ja sonst ein sehr pedantischer, verschlossener, wortkarger Mensch, der am liebsten ganz für sich allein lebte. Aber da war diese Frau, die immer wie ein Huhn war, das in der Küche erwischt wird und sinnlos gegen alle Wände, Töpfe, Fenster anflattert, obgleich die Tür weit offensteht. Da waren diese Kinder, die gerade anfingen, einem zu helfen und Freude zu machen, Händchen in Hand mit dem Vater aufs Feld zu laufen, und schon starben sie oder waren weg. Und da war der zweite Malte in der eigenen Brust, der da fand, es sei wirklich Einsamkeit genug auf diesen ewig umstürmten, ewig nebligen Einzelhöfen, in einem kleinen Bauernhaus, in dem es immer angeschmuddelt und unpünktlich zuging, mit verdorbenen Eßvorräten und verdorbenen Dienstmädchen. Und dann brach es aus ihm und er fühlte die Eiseskälte in der Brust, er löste die Zunge, er trank, er saß mit den anderen Bauern, gierig hörte er ihnen zu, er schwelgte mit ihnen. Goldene Welt der Gemeinschaft, aus dem klaren Korn des Schnapsglases. Guter Freund aller guten Freunde, aus dem lockeren, zitternden Schaum der Biergläser.
Dann ging er beschwingt heim, er sang, er pfiff, er wirbelte den Handstock – alles war gut. War es kalt draußen, so lief |79| ihm eines der Kinder entgegen und bugsierte den Vater nach Haus, denn es war vorgekommen, daß Malte Gäntschow sich einfach in einen Graben zum Schlafen gelegt hatte und nach vielen Stunden Suchens halb erfroren gefunden worden war. Die Kinder taten das gerne, denn nie war der Vater zutunlicher und fröhlicher, als wenn er so angedudelt heimmarschierte. Anzumerken war ihm sonst äußerlich kaum etwas, nur eben, daß er viel redete. Er ging bolzengerade, so viel er auch getrunken haben mochte. Er war eben immer ein riesenstarker Mann.
An diesem Abend im ersten Drittel Dezember hatten die Kinder stundenlang beisammengesessen und auf den Vater gewartet. Ein paarmal war die Mutter erschienen und hatte heftig und böse mit ihnen gescholten, als seien sie schuld daran: die Sauftour müsse nun endlich ein Ende nehmen, was sich Vater wohl dächte, keinen Pfennig Geld mehr im Hause, bei jedem Kaufmann im Kirchdorf Schulden, daß man sich nicht ein Pfund Zucker zu kaufen getraue, und es würde ja doch nur wieder Feindschaft aus all diesen betrunkenen Anbiedereien. Dann hörten die Kinder sie seufzend, scheltend und weinend den Säugling im Nebenzimmer besorgen, und dann wurde es ganz still, daß man nur den fürchterlichen Ostwind gegen die Fenster stoßen hörte.
In diesem Jahre war der Frost sehr früh und ganz überraschend gekommen – bei abnehmendem Monde. Jetzt bei vollem Monde war es noch kälter, die Fenster standen bis oben hin voll Eis, und man mußte in Vaters Stube lange gegen die Scheibe hauchen, um auf dem Außenthermometer zu sehen, daß es zwölf Grad Kälte waren. Trotzdem man dreimal aufgelegt hatte, war die Stube nicht warm zu kriegen gewesen. Es zog durch die Tür- und Fensterritzen, und so hatten sich alle Kinder, eins nach dem anderen, in die Betten verkrochen, bis auf Alwert, den Ältesten, die große Schwester Frieda und Johannes.
Johannes fror auch sehr und eigentlich war er müde, aber er war heute daran, dem Vater entgegenzulaufen, und das |80| wollte er sich nicht entgehen lassen. Er war nämlich des Vaters Liebling, und er war vielleicht der einzige, der es dem Vater beibringen konnte, daß weder Kartoffel- noch Rübenmieten ordentlich gegen den starken Frost zugedeckt waren und daß der Kühmann angefangen hatte, heimlich Milch beiseite zu bringen. Davon flüsterte der Neunjährige leise mit Frieda, der Elfjährigen. Sie durften keinesfalls den großen Bruder Alwert stören, der in einem Buche las.
Du mußt eben sehen, wie Vater ist, hatte Frieda gesagt. Redet er viel, so wartest du
Weitere Kostenlose Bücher