Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wir hatten mal ein Kind

Wir hatten mal ein Kind

Titel: Wir hatten mal ein Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
Vom Netzwerk:
lief und holte Schrot. Damit wurde das Kalb bestreut und der Kuh zum Ablecken hingelegt. Der Vater sprach: Gerade zur zwölften Stunde in der Silvesternacht hat es das Licht erschaut. Das wird kein gewöhnliches Kalb.
    |87| Und nun zeigte er dem Sohn, daß es auch nicht wie die andern einen weißen Fleck, einen Stern auf der Stirn trug, sondern eine Krone. Man konnte ganz leicht erkennen, daß es eine Krone war. Jetzt wurde es noch sicherer, daß dies kein gewöhnliches Kalb war. Es ist ein Kuhkalb, sagte der Vater noch und beide gingen wieder in das Haus hinüber. Das Mädchen wurde in den Stall zum Ausmelken und Tränken geschickt. Sie aber traten in das Wohnzimmer, wo der Besuch war.
    Es war dies zu einer Zeit, da der Bauer Gäntschow wieder einmal gut Freund mit allen Nachbarn war, und so saßen viele Leute in der guten Stube und viel Geschrei und Gelächter begrüßten die beiden. Der lange Gemeindevorsteher Wilms rief: Du alter Heide, kannst du gar nicht von deinen Heidentücken lassen?
    Es war nun gar nicht so sicher, daß er selbst völlig erhaben über solch Heidentum war. Wer weiß, vielleicht hatten seine Frau oder sein Sohn daheim zur gleichen Stunde das gleiche getrieben, vielleicht hatten sie sich sogar unter eine aufgestellte Egge gesetzt und versucht, in die Zukunft zu schauen. Aber zugegeben durfte so etwas keinesfalls werden. Und Alwert war ganz glücklich, als der Vater antwortete: Heidentücken? Was meinst du denn, Adolf? Meine Klio hat eben gekalbt, darum bin ich mit dem Jungen in den Stall gegangen. Sind das Heidentücken?
    Welches Geschrei, welcher Unglaube! Sie zogen alle in den Kuhstall, und da sahen sie nun freilich das Kalb und mußten still sein. Sie taxierten es auf achtzig Pfund und fanden, es sei ein strammes Kalb. Das war alles. Alwert verachtete sie tief. Sie hatten die Krone nicht gesehen, das Geheimnis nicht erraten. Das Geheimnis war geheim geblieben, es war nicht verlorengegangen. Alwert brauchte sich nur in den frühen Dämmerstunden, wenn die Kühe satt und still waren, in den Stall zu setzen und sein Kalb anzuschauen. Dann war das Geheimnis wieder da. Das war keine Kunst, dachte Alwert, zu entdecken, daß hinter den Augen einer Kröte eine verzauberte |88| Prinzessin wohnt. Jeder, der diese schönen, traurigen Augen in dem häßlichen Leibe sah, mußte es gleich erraten. Aber die Verzauberung seines Kalbes, das Wunderland, aus dem seine Seele kam, war viel schwerer zu entdecken. Daß sie mit Menschen nichts zu tun hatte, war sicher. Mit menschlichen Wundern hatte sie nichts gemein. Da war nun die Wanderung der Kinder Israel durch das Rote Meer, von der sie solch Geschwätz beim Kantor in der Schule machten. Das war doch nur ein menschliches, ein ausgerechnetes Wunder. Diese Mauern, die das Wasser bildete, und sie gingen trockenen Fußes über den Sand, Gott ja, aber ein Tunnel war ebensolch ein Wunder. Es war alles einfach, ausgerechnet. Es war gar nicht geheimnisvoll und rätselhaft.
    Nimm nun einmal ein Kalb, das ist es, was ich ein Wunder nenne! Kann man sich etwa einbilden, es hätte je schon auf einer Graswiese, über die Menschen hingehen können, geweidet? Das war einfach lachhaft! Man nehme die feinste, zarteste Prinzessin, die Krötenprinzessin etwa: schon aus der Art, wie eine Kröte hüpft, sich hinsetzt, das Maul auftut, sieht man, sie weiß auf dieser Erde Bescheid, sie ist immer hier gewesen. Aber sieh nur ein Kalb aufstehen, die ersten Torkelschritte machen, nach einem Euter tasten, und du begreifst sofort, daß es ganz neu auf dieser Erde ist, daß es alles von Anfang an erlernen muß. Es ist eben einfach nicht auszudenken, wie und wo es früher war. Ausrechnen, vorstellen läßt sich da nichts, man muß es träumen.
    Selbstverständlich kamen auch sehr schwere Zeiten für Alwert und das Kuhkalb. Es kam die Zeit, wo es nicht mehr saugen durfte, wo es Milch aus dem Eimer zu trinken bekam, und da trieb es natürlich Unfug mit allem, was es von Alwert fassen konnte. Es saugte an Händen, Haaren und dem Rock. Es leckte die Wichse von den Stiefeln ab, von oben bis unten machte es ihn mit seinem Speichel naß. Es wäre ganz zwecklos gewesen, darüber böse zu werden und nach ihm zu schlagen, alles kam daher, daß es noch nie auf dieser Welt gewesen war. Langsam mußte es sich an sie gewöhnen, und vielleicht |89| würde es sich nie ganz an sie gewöhnen können, keine Möglichkeit lag zu solcher Veränderung vor.
    Dann kam die Zeit, wo der Vater den Entschluß fassen

Weitere Kostenlose Bücher