Wir hatten mal ein Kind
brüllendes Gelächter ausbrach. Er forderte seinen Vater auf, stehenzubleiben, damit er ihm im Schnee die Torkelspur beweisen könnte.
Dazwischen übertrug die zitternde, schweißnasse Hand seines Vaters ein sehr genaues Gefühl auf ihn von der zornigen Traurigkeit, der tiefen Verzweiflung, die den Mann erfüllten. Er dachte flüchtig daran, daß er mit dem Vater gleich nachher in der Stube richtig ernsthaft würde sprechen müssen und mit ihm ein großes Freundschaftsbündnis schließen zur Rettung des Hofes.
Während all dies – und noch viel mehr – in ihm vorging, waren sie doch schließlich von der Chaussee auf den Weg |85| zum Hof abgebogen und näherten sich nun, immer stöhnend, schwatzend, torkelnd, den beiden gemauerten Torpfeilern, zwischen denen der Weg auf die Hofstätte führte. Im Windschutz eines dieser Pfeiler hatte Schwester Frieda auf die beiden gewartet. Sicher hatte sie schon längst den Lärm gehört, das Torkeln gesehen und trat zornig auf sie zu. Pfui, Vater! Pfui, Hannes!
Dabei zerrte sie an der Hand ihres Bruders, um ihn vom Vater loszureißen. Sie hatte nicht wissen können, welch plötzliche Bewegungen ihr Bruder in seinem jetzigen Zustand machte, auf wie schwachen Beinen er stand. Als sie ihn loshatte, taumelte er mit sechs, acht raschen, torkelnden Schritten gegen die Wegkante nach der Dungstätte hin, Frieda mit sich reißend. Ehe der Vater noch auf sie zukonnte, fielen die beiden, rollten die Böschung vom Wege hinab auf die Dungstätte, einen Dunghaufen hinunter und fielen auf das Eis der tiefen gemauerten Jauchengrube, das unter ihnen zerbrach. Hannes schrie noch gellend auf, ehe der Dreck ihm den Mund stopfte, Frieda versank lautlos. Der Vater stand ohne Bewegung, starrte in das dunkle Loch und schrie. Und schrie. Im Hause wurde es hell. Knechte kamen gelaufen, die Mutter weinte aus einem Fenster. Frieda war tot, aber Johannes lebte. Daß er am Leben geblieben und nicht Frieda, quälte viele Jahre noch sein Gewissen, peinigte ihn im Traum, führte ihn immer wieder zurück auf den Windmühlenhügel und stellte ihn von neuem vor den Stein. Daß er den Schnaps getrunken, um den Vater zu retten, das war richtig gewesen, aber warum mußte nun dadurch Frieda sterben?
Das war nicht zu verstehen. Und dann war auch noch die Geschichte mit Alwert, dem hochmütigen, einzelgängerischen Alwert nicht zu verstehen, der etwa zwei Jahre darauf abhanden kam. Das konnte man ja nun einsehen, daß nach diesem Ereignis der Vater den Johannes mied und den Alwert vorzog. Aber warum mußte Alwert wieder durch dieses Vorziehen zugrunde gehen, verschwinden, ausgestrichen werden aus der Liste der lebenden Gäntschowschen Kinder?
|86| Das war so gekommen (aber zu verstehen, was da geschehen war, war es erst viele Jahre später): Mitten in der Silvesternacht sagte der Vater: Nun komm.
Alwert schlich hinter dem Alten aus dem lärmenden Haus über die Hofstatt zum Kuhstall. Es fror leicht, die Sterne funkelten. Der Vater zog die Tür auf und sie kamen in warmes Dunkel.
Überall knisterte Stroh, eine Kuh käute wieder, Halfterketten rasselten. Die Stallaterne wurde angebrannt, ein Fenster geöffnet. Die kalte Winterluft drang ein, kämpfte mit der Wärme und war plötzlich überall. Der Junge stand im Schatten beim Rübenschneider und schwieg. Da deutete der Vater zum offenen Fenster: die Glocken begannen zu läuten, Silvester vorbei, das neue Jahr hatte begonnen.
Der Vater ging zur ersten Kuh, er sagte kein Wort, aber er verbeugte sich vor ihr und bekreuzte sie dreimal. So tat er bei der nächsten, bei der dritten, bei der vierten. Bei der fünften, der einzigen, die stand, stutzte er einen Augenblick, der Knabe sah es wohl. Aber dann ging Vater weiter, reihauf, reihab. Das Jungvieh beachtete er nicht, auch nicht die Pferde. Er ging wieder ans Fenster und schloß es. So, nun kannst du reden, Alwert, sagte der Vater und nahm den Jungen bei der Hand. Jetzt will ich dir etwas zeigen.
Die beiden kletterten über die Krippen weg, gingen zwischen zwei Kühen durch und zu jener fünften, die gestanden hatte und noch stand. Da sah Alwert freilich sogleich, um was es ging: die Kuh bekam ein Kalb. Die Vorderpfoten und der Kopf schauten schon heraus, der Vater faßte die Pfoten und zog leicht, und nun war es, als schlenkerte er etwas unendlich Langes, Schwarzweißes auf die Erde.
Da lag das Kälbchen auf der Seite, den Kopf von sich gestreckt, und atmete hastig. Lauf und hol Schrot, rief der Vater, und Alwert
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