Wir in drei Worten
Londoner Kanzlei in das Büro in Manchester versetzen lassen, damit sie bei ihm sein kann. Sie haben sich bei einem Abendessen der Anwaltskammer kennengelernt. Eine große Veranstaltung mit Abendgarderobe. Die Szene spielt sich wie ein Trailer für einen Richard-Curtis-Film, den ich auf keinen Fall anschauen will, in meinem Kopf ab.
»Vielleicht dürften wir uns gar nicht miteinander unterhalten – ich als Anwalt und du als Gerichtsreporterin«, scherzt er schließlich.
»Das kommt darauf an. In welchem Fachbereich bist du?«
»Familienrecht.«
»Scheidungssachen und so?«
»Ja, Umgangsrecht. Manchmal ist es hart. Aber wenn man eine Lösung findet, kann es auch befriedigend sein.«
Ich verstehe, warum er sich dieses Gebiet ausgesucht hat, und er weiß, dass ich es weiß, also nicke ich nur. »Ich glaube, wenn du im Strafrecht wärst, könnte ein Gespräch mit einer Reporterin problematischer sein.«
»Das wäre mir zu anstrengend. Der Freund, der mir diesen Job hier verschafft hat, ist im Strafrecht tätig. Er ist ständig auf Abruf, und das geht an die Substanz. Da fällt mir ein, dass er über einen bestimmten Fall mit der Presse sprechen möchte. Soll ich ihn an dich verweisen?«
»Natürlich«, erwidere ich, beflissen, ihm zu gefallen und eine weitere Verbindung herzustellen.
Wir haben unseren Kaffee fast ausgetrunken, und obwohl ich anbiete, den zweiten zu holen, erklärt Ben mit einem Blick auf seine Armbanduhr, dass es ihm leidtäte, er aber gehen müsse.
»Ja, jetzt, wo du es sagst – ich muss auch los«, lüge ich, drehe meine Armbanduhr nach oben und werfe einen Blick darauf, ohne die Uhrzeit wahrzunehmen.
Ben wartet rücksichtsvoll, während ich meinen Mantel anziehe. Ich hoffe, dass er das Stone, die sechs Kilo, die ich seit der Uni zugenommen habe, nicht sieht. (»Ein
Stone?
«, pflegte Rhys mit einem verächtlichen Schnauben zu sagen. »Seit wann wiegt ein Stone dreißig Pfund? Habe ich einen neuen bescheuerten Beschluss aus Brüssel verpasst?«)
Wir verlassen zusammen das Gebäude.
»Es hat mich sehr gefreut, dich wiederzusehen, Rachel. Ich kann kaum glauben, dass es zehn Jahre her ist. Es ist unfassbar.«
»Ja, kaum zu glauben«, stimme ich ihm zu.
»Lass uns in Kontakt bleiben. Liv und ich kennen nicht viele Leute hier oben. Du kannst uns sicher sagen, wo man heutzutage in Manchester hingeht.«
»Klar!« Als ob ich das wüsste. »Ich werde Caroline, Mindy und Ivor auch Bescheid sagen.«
»Wow, du triffst dich noch mit ihnen?«
»Ja, wir sehen uns regelmäßig.«
»Das ist wirklich nett.« Ben nickt, aber ich habe das Gefühl, dass das nur ein weiteres Beispiel für den Stillstand ist, in dem ich seit einem Jahrzehnt verharre, und komme mir vor, als würde ich in einem mottenzerfressenen Abschlussballkleid im Miss-Havisham-Look herumsitzen und mir eine knisternde Aufnahme von
Disco 2000
von Pulp anhören. »Gibst du mir deine Telefonnummer?«
Ben tippt sie in sein Telefon, während ich mich, überflutet von Adrenalin, bemühe, die Zahlen in der richtigen Reihenfolge aufzusagen.
Er wirft wieder einen Blick auf die Uhr. »Mist, ich bin spät dran. Was ist mit dir? Soll ich dich zur Bushaltestelle begleiten?«
»Sie ist gleich um die Ecke. Schon okay, geh nur.«
»Sicher?«
»Ja, danke.«
»Bis bald, Rachel. Ich ruf dich an.«
Er beugt sich zu mir herunter und drückt mir einen flüchtigen Kuss auf die Wange. Bei der Berührung und der Wärme seiner Haut an meiner halte ich aufgeregt den Atem an. Und dann folgt ein schrecklich peinlicher Moment, als er mich unerwartet auf die andere Wange küssen will, so wie man das in den Medienkreisen in London und im kultivierten Europa tut. Darauf bin ich nicht gefasst, und wir stoßen beinahe mit dem Gesicht zusammen. Ich muss meine Hand auf seine Schulter legen, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren, und springe dann in übertriebener Weise einen Schritt zurück, aus Panik, zu dreist zu erscheinen.
»Bis dann!«, rufe ich, aber eigentlich wünsche ich mir, diese Szene zu wiederholen, ohne meine Einlage als unbeholfener Tölpel, indem ich wie ein herrisches Kind die Regieanweisungen gebe: »Also gut, du stellst dich dorthin, und ich stehe hier … Und los!«
Halb in Trance wanke ich zur Haltestelle. Um meinen Kopf schwirren Sternchen wie in einem Cartoon, und die zwei soeben auf mein Gesicht gedrückten Küsse brennen auf meiner Haut. Ich bin wie im Rausch, weil ich ihn verbotenerweise getroffen habe – und er will mich
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