Wir in drei Worten
Entschuldigung suchen wird.
»Da wir ein ganzes Jahrzehnt aufholen müssen, brauchen wir wahrscheinlich zwei Tassen«, erwidert Ben, ohne auch nur eine Sekunde zu zögern.
Ich glühe. Die Obdachlosen auf der Straße könnten sich um mich versammeln und sich die Hände an mir wärmen.
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10
W ir unterhalten uns etwas nervös über unsere Lernerei, sowohl die tatsächliche als auch die erfundene, bis wir das halbleere Café im Untergeschoss erreichen. Er holt uns Kaffee – Cappuccino für mich, Filterkaffee für sich. Ich setze mich an einen Tisch, reibe meine schwitzigen Handflächen an meinem Kleid ab und beobachte Ben in der Schlange.
Er wühlt unter seinem teuer aussehenden grauen Mantel im Military Style in der Hosentasche nach Kleingeld. Er zieht sich immer noch so an, als würde er in einem Film über sich selbst die Hauptrolle spielen. Es ist vollkommen unnötig, als Anwalt so herumzulaufen. Er sollte sich in einem Werbespot für ein Aftershave auf einer Yacht räkeln und nicht mit dem Rest von uns durch ein stinknormales Leben lavieren und uns alle dabei dumm aussehen lassen.
Es lag aber eigentlich nicht an seinem Aussehen, dass die Frauen reihenweise auf ihn flogen, obwohl es nicht gerade zu seinem Nachteil war. Er besaß, was man bei Schauspielern Präsenz nennt, glaube ich. Rhys nennt es »den Chef markieren«. Er bewegt sich, als wären seine Gelenke lockerer als bei allen anderen. Und er besitzt einen trockenen Humor: Die leichten, schlagfertigen Bemerkungen überraschen, wenn sie von einem so gutaussehenden Mann kommen. Wir sind irgendwie darauf konditioniert, von einem schönen Menschen einen geringeren Intellekt zu erwarten – sozusagen als Ausgleich.
Während ich ihn anstarre und spüre, wie mir flau im Magen wird, plaudert er mit der Frau mittleren Alters, die den Kaffee verkauft – ganz gelassen und entspannt. Für mich ist das hier ein enormes Ereignis. Er scheint in mir nur eine historische Fußnote zu sehen. Dieser gewaltige Unterschied ist ein gewaltiges Problem. Wäre das hier ein Märchen, würde ich nach der Flasche mit der Aufschrift GIFT lechzen. Fürs Erste wird es nach Cappuccino schmecken.
Als Ben an den Tisch kommt und meine Tasse abstellt, sagt er: »Kein Zucker, richtig?«
Ich nicke und freue mich riesig, dass er sich diese belanglose Kleinigkeit gemerkt hat. Dann entdecke ich eine Kleinigkeit an ihm, die ganz und gar nicht belanglos ist – einen einfachen Silberring am Ringfinger seiner linken Hand. Ich habe mir viele Male vor Augen geführt, dass es zwangsläufig der Fall sein musste, aber jetzt empfinde ich es trotzdem wie einen Schlag ins Gesicht.
»Italiener trinken nur am Morgen Cappuccino. Zum Frühstück«, plappere ich völlig sinnlos drauflos.
»Hast du das in deinem Kurs gelernt?«, erkundigt sich Ben freundlich.
»Äh, ja.«
Das ist der Moment, in dem mir das Schicksal ins Gesicht furzt, und ich erfahre, dass Bens Frau Halbitalienerin ist. Er rasselt ein paar poetische Redewendungen herunter, und ich muss vorgeben, erst einige wenige Stunden gehabt zu haben. Bens Frau.
»Hast du dich nach der Uni tiefgefrieren lassen?«, fährt Ben fort. »Du siehst ganz genauso aus wie damals. Das ist fast ein wenig unheimlich.«
Ich bin erleichtert, dass ich nicht verlebt aussehe, und bemühe mich, wegen des angedeuteten Kompliments nicht unverhältnismäßig stark zu erröten. »In Gerichtssäle dringt eben kein Sonnenlicht, das dich altern lässt.«
»Nur dein Haar ist anders«, fügt er hinzu, hebt eine Hand und deutet mit einer Scherenbewegung an seinen Hals.
An der Uni trug ich mein Haar länger, ließ mir aber einen geschäftsmäßigen Bob schneiden, nachdem ich im Gerichtssaal ein paarmal für die Freundin des Angeklagten gehalten worden war.
Ich streiche verlegen eine Strähne hinters Ohr. »Ja, das stimmt.«
»Steht dir gut«, sagt er leichthin.
»Danke. Du siehst auch gut aus.« Ich atme tief durch. »Also, erzähl mir alles über dein Leben. Verheiratet, zwei Komma vier Kinder, rundum abgesicherte Altersvorsorge?«
»Verheiratet stimmt«, erwidert Ben.
»Fantastisch!« Ich achte darauf, dass jede Silbe hocherfreut klingt. »Glückwunsch!«
»Danke. Olivia und ich haben letzten Monat unseren zweiten Hochzeitstag gefeiert.«
Der Name versetzt mir einen Stich. All die mit ihren Ponys prahlenden Upperclass-Mädchen in unseren Kursen hießen Olivia, Tabitha oder Veronica, und wir verschworen uns in unserer Zweiergang gegen sie. Nun hat er mich
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