Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition)
empfängt: Das nennt man Gottesraub. Eine furchtbare Sache. Schlimmer , als wenn man weggeblieben wäre. Die Gnadenfülle des Sakraments verkehrt sich dadurch in ihr Gegenteil , und aus der Speise des Himmels wird das Mahl des Gerichts. Weil man den Herrn mit seinen ekelhaften Sünden besudelt und durch den Dreck gezogen hat. Manche scheitern ja jeden Tag an sich selbst. Stellen sich widerwärtige Dinge vor , verhalten sich den Kameraden gegenüber wie brünftige Böcke , und sobald sie am Wochenende nach Hause kommen , stellen sie den Mädchen nach.«
Carls Knie werden weich.
»Heutzutage wird so getan , besonders von Theologen , die dem Zeitgeist nach dem Mund reden , als ob es sich beim Leib des Herrn im Sakrament um ein bloßes Symbol handeln würde. Neulich habe ich erst wieder in einer Zeitschrift gelesen , daß die Eucharistiefeier in der Hauptsache dazu dient , das Gemeinschaftsgefühl stärken. Wer so etwas schreibt , verdreht auf eine gefährliche und verantwortungslose Weise die Realität. Abscheulich. Sicher ist die Gemeinschaft auch wichtig. Wir in Kahlenbeck legen allergrößten Wert darauf. Aber doch nicht als Selbstzweck. Es hat so viele verkommene Gemeinschaften in der Geschichte gegeben , Gemeinschaften , deren Oberhaupt der Satan war: SA , SS , Rotfront , Freimaurer … Erst wenn Christus die lebendige Mitte einer Gemeinschaft ist , wird sie zu etwas Heiligem. «
Unter Carls Füßen die wirren Schatten der Platane auf weißem Stein. Der Boden schwankt. Ohne Zweifel ist er des Gottesraubs schuldig , dutzendfach. Seit er jeden Morgen zur Messe geht , hat er immer nur neue Schuld aufgehäuft , statt sich reinzuwaschen.
»Wenn der Priester die Wandlungsworte gesprochen hat , ist der Herr in der Gestalt von Brot und Wein wirklich anwesend. Das mußt du dir immer wieder vor Augen führen. Es gibt nur eine Haltung , die dem gegenüber angemessen ist. – Welche , Carl?«
Carl bringt nicht mehr als ein halblautes Krächzen hervor.
»Niederknien in äußerster Ehrfurcht.«
Er traut sich nicht , den Präses anzuschauen. Er hat Angst vor diesem Blick , vor dem er nichts verbergen kann. Dabei sollte er dankbar sein , daß der Präses ihn abgepaßt , ihm diese Mahnung erteilt hat , damit er fürderhin die Sünde meidet.
»Deshalb ist es wichtig , gerade in diesen Jahren der unablässigen Anfechtung , daß ihr regelmäßig zur Beichte geht. Mindestens alle zwei Wochen. Als ich so alt war wie du , bin ich jeden Samstag gegangen. Und anschließend hat die Mutter mich in die Badewanne gesteckt.«
Er kichert.
»Dann konnte ich an Leib und Seele gereinigt dem Sonntagsgottesdienst in froher Erwartung entgegensehen. Du wirst merken , Carl , wenn du das eine Weile gemacht hast , wie der Teufel immer mehr von seiner Macht über dich verliert.«
»Ich gehe zur Zeit meistens alle vierzehn Tage.«
»Kommst du gut klar mit Spiritual Lenders?«
Er zuckt zusammen , fragt sich , ob Holzkamp schon mit dem Präses gesprochen hat. Holzkamp dreht einem das Wort im Mund herum , so daß alles , was man sagt , am Ende in seine Argumentation paßt. Wer weiß , wie er das Gespräch neulich dem Präses gegenüber dargestellt hat – er kann behaupten , was er will , und der Präses glaubt ihm.
»Er ist sehr nett.«
»Der Bischof hat extra einen jüngeren Priester für diese Aufgabe geschickt , damit ihr leichter Vertrauen faßt.«
»Man kann schon gut mit ihm reden , auch wenn man nicht weiter weiß.«
»In eurem Alter werden die entscheidenden Weichen für die Entwicklung des geistlichen Lebens gestellt. Wenn euch die regelmäßige Teilnahme an den Sakramenten jetzt nicht zu einem tiefen Bedürfnis wird , werdet ihr nach dem Abitur , sobald ihr in einer fremden Stadt seid , fernab von Muttis Ermahnung , nicht die Stärke haben , den Verlockungen der Welt zu widerstehen. Was meinst du , wie viele Ehemalige schon vor mir standen , und ich habe auf den ersten Blick gesehen , daß von ihrem Glauben nichts mehr übrig war. Man kann es an den Gesichtern ablesen. Ganz schrecklich. Jetzt müßt ihr das Fundament des Glaubens legen , auf dem ihr euer Leben bauen könnt. Das ist das Wichtigste , was ihr hier mitnehmt , viel wichtiger als das Abitur: ein starker Glaube. Wer hat , dem wird gegeben werden , und er wird im Überfluß haben , wer aber nicht hat , dem wird auch das noch weggenommen , was er hat. – Damit ist nicht gemeint , daß Gott auf ein dickes Bankkonto immer noch mehr Geld einzahlt. Das denken nur die
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