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Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition)

Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition)

Titel: Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Peters
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sich um , klettert über das halbhohe Gitter auf die Außenbank. Hält sich im Rahmen fest. Unter ihm sind es dreieinhalb Meter bis zum Schuppendach. Er lehnt sich so weit wie möglich nach links dem Schornsteinvorsprung zu. Läßt sich mit der Hand gegen die Klinkermauer fallen. Spürt scharfe Kanten. Bekommt einen der Leiterbügel zu fassen. Das glatte Metall ist so eisig , daß es schmerzt. Stützt sich mit dem linken Fuß , hält den Atem an , sammelt Kraft , stößt sich mit dem rechten ab , schafft es , einen weiteren Bügel zu greifen , den Fuß auf eine untere Trittstufe zu setzen. Das nächste Stück ist einfach. Er klettert hinunter , steht auf dem Dach. Es scheint belastbar , obwohl einzelne Ziegel knacken. Er geht vorsichtig , prüft jeden Schritt. Erreicht die Kante. Von der Höhe her ist es zu schaffen. Holt tief Luft. Springt. Eine Sekunde freien Falls. Die Erde ist hart gefroren. Er spürt ein Reißen in den Knien. Steht. Staunt , wie einfach es war. Fragt sich , warum nicht Nacht für Nacht Leute über diesen Weg das Haus verlassen.
    Im Mondlicht liegt alles klar da , fast so deutlich erkennbar wie bei Tag , nur daß die Farben fehlen. Er geht um den Schuppen herum , schaut , ob es eine Möglichkeit gibt , auf das Dach zurückzuklettern. Findet keine. Erschrickt. Erst um fünf am Morgen werden die Türen zum Kreuzgang und zu den Häusern wieder geöffnet.
    Die Turmuhr schlägt Mitternacht. Wenn dort draußen etwas geschieht heute Nacht , beginnt es jetzt. Ihm rinnt der Schweiß , er spürt auch , wie bedrohlich die Kälte ist. Mit jeder Minute hier draußen dringt sie tiefer in die Kleider. Angst. Er stapft durch heruntergeblühte Pflanzen bis zum Kiesweg. Rechts die Kirche , dann der Glasgang , der in die Rückseite des Schulgebäudes mündet. Abgeerntete Gemüsefelder , geschossener Wirsing. Zwiebeln , die vergessen worden sind. Ihr süßer fauliger Geruch. Eine hohe Hecke umschließt das Gelände , unmittelbar dahinter der Graben. Er hat keine Alternative als in einem großen Bogen zur Hauptbrücke zu gehen , von dort vorbei an Krantz’ Wohnung zum Steingregor. Erst danach kann er halbwegs sicher sein , keinem Erzieher oder Lehrer mehr zu begegnen.
    Bei Tageslicht würde er fünfundzwanzig Minuten benötigen bis in das dunkle Gebiet. Jetzt muß er aufpassen wie ein Tier , das zum Abschuß freigegeben ist. Im Wald wird er trotz Taschenlampe Mühe haben , sich zu orientieren.
    Die Schritte knirschen bedrohlich laut. Er fürchtet , sie könnten bis in die Wohnung von Bruder Walter zu hören sein , zumindest wenn dessen Fenster gekippt ist. Sinnlose Versuche , das Gewicht zu verlagern , die Füße anders aufzusetzen. Wenn er nicht schneller vorankommt , wird er nur für das Stück bis zum Steingregor eine halbe Stunde brauchen. Vielleicht hat um eins schon wieder alles sein Ende. Ist er erst dort , wird sich der Augenblick bis an den Rand der Unendlichkeit dehnen , aber wenn es vorbei ist , ist es vorbei. Er muß sich beeilen , selbst auf die Gefahr hin , daß es dann noch riskanter ist. Überhaupt muß er sich mehr bewegen: Nicht nur die Geräusche blähen sich auf im Dunkel , auch die Kälte wird kälter.
    Ein Speichelsee sammelt sich im Mund , er schluckt ihn hinunter. Dick und schmerzhaft wie Unzerkautes schiebt er sich durch die Speiseröhre.
    Was aber , wenn dort draußen im Wald gar nichts stattfindet? Wenn dort kein einziges Mädchen darauf wartet , ein Fleisch und ein Geist mit ihm zu werden , als Zeichen und Geschenk , daß er sich bis in Ewigkeit dem Feuer verschrieben hat? Holzkamp hat so getan , als sei er zu hundert Prozent sicher , deutete an , daß er Geheiminformationen habe , Kuffel hat vielsagend genickt. Vielleicht haben sie nur eins ihrer Spiele gespielt oder sind ihren eigenen Kopfgeburten aufgesessen. Gesetzt den Fall , dort im Wald werden tatsächlich seit Jahren , womöglich Jahrhunderten , Satansmessen abgehalten , dann müßte man doch vom oberen Flur in Quirinal aus Licht dort sehen , wahrscheinlich sogar Rauchfahnen , längst hätte jemand Polizei oder Feuerwehr gerufen.
    Unmittelbar vor ihm huscht ein Tier über den Weg. Ein zweites – Ratten. Noch eine. Sie verschwinden zwischen den Sträuchern. Das Rascheln trockenen Laubs. Aus Richtung Forch fährt ein Auto vorbei , setzt den Blinker , biegt beim Steingregor auf das Gelände.
    Wie konnte er glauben , daß es so etwas wie Satansmessen überhaupt noch gibt?
    › Der Teufel hat heutzutage nicht mehr viel Arbeit mit der

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