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Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition)

Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition)

Titel: Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Peters
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unterhalten. Der Toaster war längst wieder im Schrank hinter den Kleidern. Das Fenster stand offen , so daß es sicher nicht nach geröstetem Brot gerochen hat , als die Tür aufging und Bruder Walter mit gefährlich leiser Stimme sagte: »Raus , Pacher! – Und du gehst ins Bett , Bart. Morgen meldet ihr euch beide zu einem Gespräch beim Präses.«
    Dann lachte er. Sein Lachen klang wie vorweggenommene Schadenfreude.
    Trotz der doppelten Tür , die das Vorzimmer von den Räumen des Präses trennt , spürt man seine Anwesenheit. Der Präses kann ebensowenig hören , was hier gesprochen wird , wie umgekehrt , trotzdem bleibt das Gefühl , daß einem nicht einmal die Gedanken gehören , die man hier denkt.
    Carls Herz stockt , als erst die innere , einen Moment später die äußere der beiden Türen geöffnet wird. Ein Sextaner kommt heraus. Er hat geweint.
    »Wir in Kahlenbeck« , sagt der Präses , »sind vor allem stolz auf unsere Gemeinschaft. Ich bin mir sicher , daß du schon bald merkst , wie du in diese Gemeinschaft hineinwächst. Das ist etwas ganz Besonderes. Sprich dir das immer wieder vor : › Ich bin ein Kahlenbecker! ‹. Und ansonsten: Die Dinge , über die wir geredet haben , bleiben unter uns.«
    Bart erhebt sich , Carl richtet sich auf.
    »Carl. Bartholomäus. Bitte.«
    Nur der Präses nennt Bart › Bartholomäus ‹ , obwohl sogar in seinem Paß › Bart ‹ steht.
    Sie werden nicht an den mächtigen runden Tisch geführt , wo die freundlichen Gespräche stattfinden. Freundliche Gespräche leitet der Präses mit einem Scherz ein , dann reicht er Kekse aus einer gepunzten Blechdose. Sie werden überhaupt nicht gebeten , sich zu setzen. Er läßt sie stehen , mitten in dem hohen Raum , der beherrscht wird von Bücherwänden , einem breiten Eichenschreibtisch und von dem lebensgroßen Bild des gegeißelten Christus an der Wand. Ecce homo steht rechts und links des zur Seite geneigten Hauptes. Dem Herrn sind die Hände zusammengebunden. In der Rechten hält er einen dünnen Rohrstock , der gen Himmel weist , aber da ist kein Himmel. Er trägt Dornenkrone und Lendenschurz. Seine Schultern werden von einem purpurnen Umhang bedeckt. Aus tausend Wunden von der Stirn bis zu den Füßen tritt in dicken Tropfen Blut aus. Der Anblick schnürt Carl die Kehle zusammen. Halb schräg vor dem Bild befindet sich die Gebetsbank. Dort kniet der Präses während der Nachtstunden , um im Anblick des gemarterten Herrn vor den Nachstellungen Satans zu fliehen.
    »Ich will aus eurem Mund hören , weshalb Bruder Walter euch zu mir geschickt hat: Bartholomäus.«
    Carl sieht Bart an , der feuerrot geworden ist. Überlegt , was er selbst sagen könnte , denn Bart wird schnell fertig sein , er redet nie viel.
    »Wohl , weil wir zu lange aufgeblieben sind …«
    »Weiter.«
    »Sonst … Wüßte ich nichts.«
    »Carl.«
    »Wir hätten schlafen sollen , und ich hätte in meinem Zimmer im Bett liegen müssen , aber statt dessen haben wir um elf noch geredet. Vielleicht auch , weil es nicht das erste Mal war , daß Bruder Walter uns erwischt hat.«
    Der Präses schweigt. Er schaut von Carl zu Bart , von Bart zu Carl. Seine Lippen sind schmal , fast weiß. Über dem Kollar schwellen die Adern an , bis der Kopf eine dunkelviolette Farbe angenommen hat. Man spürt , welche Kräfte er mit eisernem Willen bändigt und daß diese Kräfte , wenn er sie losläßt , einen hinwegfegen können. Seine Ohrfeigen sind nur ein Vorgeschmack darauf , aber selbst sie treffen mit einer anderen Wucht , als wenn Krantz , Bruder Walter , Schwester Adelgundis oder Herr Bertram zuschlagen.
    »Ich dulde nicht , daß ihr euch gegenseitig vom Schlafen abhaltet und morgens im Unterricht unaufmerksam seid.«
    Seine Stimme ist laut , so laut , daß sie im Kopf dröhnt , obwohl er nicht schreit.
    »Ihr seid hier , um zu lernen und nicht , um nachts Unfug zu machen. Wenn ihr euch nicht in die Hausordnung einfügt , kann ich euren Platz jederzeit jemand anderem geben , jemandem , der weiß , was es bedeutet , bei uns in Kahlenbeck Schüler zu sein , und der sich dementsprechend verhält. Auf meinem Tisch liegen Dutzende Briefe von Eltern , die mir schreiben , › Herr Präses , wie gern würden wir unseren Sohn zu Ihnen aufs Gregorianum schicken , können Sie ihn nicht vielleicht doch aufnehmen? ‹. Wenn ich dort anrufe , steht morgen ein Junge vor der Tür , der zutiefst dankbar ist , daß er kommen darf.«
    Carl möchte widersprechen , beziehungsweise

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