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Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition)

Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition)

Titel: Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Peters
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beim ersten Mal eingeprägt , und beim nächsten Mal wäre es ihr bereits bekannt vorgekommen , verknüpft mit einer Empfindung , etwas angenehmer als völlig neutral. Das hätte er sofort gespürt , es wäre wie eine Aufforderung gewesen , etwas zu sagen , einen lässigen Spruch über ein bedeutendes Thema , nicht zu ernst , aber so formuliert , daß sie die dunklen Tiefenschichten hinter seinem ungerührten Gesichtsausdruck mitgehört hätte. Für heute hat er sie verpaßt. Es wäre alles anders verlaufen , wenn der idiotische Quartaner Ralf ihm nicht im Weg gestanden hätte , wenn er selbst nicht so dämlich gewesen wäre , Recke und Schmider den Vortritt zu lassen. Er hat es durch eigene Blödheit vermasselt , durch eine Fehleinschätzung und wegen des hirnrissigen Versuchs einer Rache an Asse. Jetzt sieht er zu , wie sie sich langsam entfernt , spürt einen Stich aus der Herzgegend in den Bauch , den er auch gespürt hätte , wenn sie noch da gewesen wäre , nur in umgekehrter Richtung. Aber mitten in der Enttäuschung und durch die verschiedenen Arten Gestank kann er auf einmal eine deutliche Spur ihres Dufts ausmachen. Sie zieht ihn hinter sich her wie einen seidenen Schleier. Ein bestimmtes Deo , Parfüm , Shampoo , das sich auf keiner anderen Haut so entfaltet wie auf ihrer und dabei ihr Wesen zum Ausdruck bringt. Kein Satz könnte sie so beschreiben. Dieselbe Witterung hat er neulich im Kreuzgang gehabt. Unmittelbar darauf hat er an sie denken müssen. Dann sind ihm Zweifel gekommen , ob es wirklich ihr Geruch war und nicht irgendein anderer Mädchengeruch , von einer , die so abstoßend ist , daß es eine Unverschämtheit gewesen wäre , wenn sie so gerochen hätte. Er hat sich klargemacht , daß es sein bloßer Wunsch war , sie möge so , genau so und kein bißchen anders riechen , der ihre Gestalt , ihr Gesicht , ihre Augen in seinen Gedanken hat auftauchen lassen. Aber jetzt sind Zweifel ausgeschlossen: Zwischen ihrem Gang , der Art , wie sie den Kopf , die Arme bewegt , dem Schwung ihrer Hüften , während sie mit ihrer Kollegin oder Freundin redet , und diesem bestimmten , einmaligen Geruch besteht eine eindeutige Verbindung. Carl saugt ihn ein. Die Spur wird schwächer , aber noch ist sie da. In jemandes – im Duft eines Mädchens zu stehen ist fast , als ob sie einen berühren würde. Er streift ihn , wie ihm eines Tages ihr Handrücken die Wange streicheln wird , wenn sie begriffen hat , daß ein Band zwischen ihnen geknüpft ist über alle Widrigkeiten hinweg. Bis dahin wird er immer wissen , wann sie kurz vor ihm irgendwo auf dem Gelände war , und seine Gedanken können sich ihr sofort und zielgenau nähern , ohne daß sie es merkt. Das heißt , sie merkt es schon , aber auf eine unbewußte Art , die spätere Entscheidungen vorbereitet , bis sie sich von selbst ergeben. Die Luft ist durchlässiger als allgemein angenommen wird. Sie hat Zwischenschichten – vielleicht das , was man Äther nennt – , durch die Gedanken geleitet werden können , ähnlich wie Radiowellen , die durch den Raum ziehen und sich über die Spulen in einer Kiste in Musik verwandeln. Wenn man seinen Geist stark macht , müssen die Nachrichten , die man einem Mädchen übermitteln will , sie früher oder später erreichen. Lange bevor sie weiß , woher sie stammen , werden Regungen in ihr auftauchen , die einen Widerhall finden bei seinem Anblick. Jedesmal , wenn sie sich begegnen , und sei es für eine Kelle Linsensuppe , wird eine bestimmte Art Unruhe von ihr abfallen und eine andere Art Unruhe von ihr Besitz ergreifen. Daran ändert auch die Tatsache nichts , daß sie sich jetzt , wo er hier steht und seine gesamte Person , alles , was er ist , in ihre Richtung wirft , nicht noch einmal umdreht oder wenigstens innehält aufgrund einer kurzen Verwirrung der Gedanken oder des Herzens. Vergebens versucht er ihren Duft im Durcheinander der Küchendünste ein weiteres Mal einzufangen , während sie mit der anderen , deren Namen er auch nicht kennt , in die Spülküche biegt und aus seinem Blickfeld verschwindet , die riesige leere Bratkartoffelschüssel unter dem Arm.
    Offenbar hat die Obernonne Pankratia schon eine Weile zu ihm herübergeschaut. Jetzt fixiert sie ihn , damit er sich nicht einfach davonstiehlt , setzt sich in Bewegung. Carl mag Pankratia nicht , obwohl oder gerade weil sie zusammen mit Schwester Adelgundis während der Bergfreizeit auf der Gregoriushütte im Kliertal kocht. Schon zweimal hat Carl dort seine

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