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Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition)

Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition)

Titel: Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Peters
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er das Etikett abgelöst hat , gießt Wasser in den Topf , plaziert ihn mit Tauchsieder hinter dem Sessel , so daß Bruder Walter ihn nicht auf den ersten Blick sieht , falls er unerwartet in der Tür stehen sollte.
    »Würdest du Hunger und Durst oder das Verlangen des Körpers nach sexueller Befriedigung auch als denken bezeichnen? Ich bin hungrig , also denke ich ?«
    »Ja. Nein.«
    »Du würdest aber der Aussage zustimmen , daß das Denken eine Tätigkeit des Geistes ist , oder?«
    »Was soll es sonst sein?«
    »Es gibt ja viele , die glauben , daß gar kein Unterschied zwischen Geist und Materie besteht , daß der Geist nur ein Ausdruck besonders komplex strukturierter Materie ist.«
    »Doch. Schon. Natürlich ist da ein Unterschied.«
    »Und gehören Hunger und Durst jetzt in den Bereich des Geistes oder in den der Materie?«
    »Das hängt davon ab?«
    »Wovon?«
    »Es gibt ja auch das Hungern und Dürsten nach der Gerechtigkeit , wie es in der Bergpredigt heißt.«
    »Wollen wir jetzt Sprachspiele spielen oder ernsthaft eine philosophische Frage erörtern?«
    »Ist mir egal.«
    Holzkamp verdreht entnervt die Augen , schnaubt wie ein Kampfstier , ranzt Kuffel an: »Hast du mir nicht erzählt , › dieser Pacher ist ein hochintelligenter und frommer Junge , der braucht nur ein wenig Unterstützung , dann wird er der Sache gute Dienste erweisen ‹ ?«
    Kuffel wird rot , sagt aber nichts , steht auf , zieht den Stecker des Tauchsieders , hängt zwei Teebeutel in die Kanne , übergießt sie mit Wasser.
    »Welcher Sache?« fragt Carl. »Ihr kennt mich doch überhaupt nicht. Wie wollt ihr da beurteilen , wozu ich gut bin?«
    »Das ist Quatsch , was er erzählt.«
    »Der Sache des Glaubens« , sagt Holzkamp. »Jedenfalls soll der Anschein erweckt werden , es ginge um den Glauben. Nicht wahr , Bernhard? Du wirst die Jugendseelsorge in Haus Quirinal übernehmen.«
    Holzkamp lacht auf , laut und verächtlich , wirft sich in die Sesselpolster , schlägt sich auf die Schenkel.
    »Gib nichts auf ihn« , sagt Kuffel. »Er ärgert sich nur , weil du dich nicht von ihm einschüchtern läßt.«
    »Siehst du , Carl , es ist , wie ich es dir gesagt habe: Fortan kannst du dich immer in Bernhards schützende Arme werfen.«
    Carl schaut Holzkamp in die Augen , Holzkamp hält seinem Blick stand. In Carls Kopf herrscht Leere. Dieser eine Satz , der zwingend wie eine Ohrfeige wäre und das Wortgefecht zu seinen Gunsten entschiede , fällt ihm partout nicht ein.
    »Kennst du eigentlich die Verfilmung von Der Tod in Venedig ?« fragt Holzkamp , als wollte er ein freundlicheres Gespräch beginnen.
    »Was ist damit?«
    »Bernhards Lieblingsfilm. Ich werde Bruder Walter den Vorschlag machen , ihn als Sonntagsfilm auszuleihen , dann können wir ihn zusammen ansehen.«
    Kuffel holt zwei Tassen aus dem Regal , gießt Tee ein: »Nimmst du Zucker?« Carl nickt.
    »Du bekommst ein Aquarium , habe ich gehört« , sagt Kuffel.
    »Das Aquarium habe ich schon , bloß die Fische noch nicht.«
    »Ich würde es mir gern einmal anschauen , wenn die Fische da sind.«
    »Der Tod in Venedig« , sagt Holzkamp , »ist eine Erzählung von Thomas Mann – den Namen hast du vielleicht gehört: ein bedeutender Schriftsteller mit delikaten Vorlieben. In dieser Erzählung geht es um einen hübschen Jungen namens Tadzio – ungefähr so alt wie du , vielleicht ein bißchen jünger … – Wie alt bist du jetzt?«
    »Vierzehn.«
    »Bernhard findet , daß du dem Schauspieler in der Verfilmung ähnlich siehst.«
    »Aha.«
    »Das ist ein großes Kompliment.«
    »Schön.«
    »Ich kann allerdings beim besten Willen nicht erkennen , worin die Ähnlichkeit bestehen soll.«
    Carl hat keine Ahnung , worauf Holzkamp hinauswill , und wendet sich wieder Kuffel zu: »Kennst du dich ein bißchen aus mit Aquaristik?«
    »Wir hatten zu Hause ein Becken.«
    »Und für welche Arten von Fischen interessierst du dich?«
    »Bei uns war es eher meine Mutter , die sich darum gekümmert hat. Ich fand aber immer , daß es so etwas Beruhigendes für die Seele hat.«
    Holzkamp windet sich aus dem Sessel , ächzt , als wäre er achtzig , steht da , das Kinn auf die Brust gekippt , zeichnet mit der Rechten eine Figur aus Ärger in den Raum , sagt: »Bevor ich dem geistlichen Wachstum hier zum Hindernis werde , lasse ich euch allein.«
    »Das ist vielleicht besser« , sagt Kuffel.
    In Holzkamps Schnaufen halten sich Ärger und Verachtung die Waage.
    Als er die Tür bereits geöffnet hat , dreht

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