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Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition)

Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition)

Titel: Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Peters
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zurück. Da ist niemand: kein Jäger , der seiner Spur folgt , kein Mörder , der sich heranpirscht. Die Luft brennt nicht , weder Schüsse , die durch das Unterholz hallen , noch Gebell von Bluthunden , das die Luft zerreißt. Von nirgendwoher sabbernde Bestien mit gefletschten Zähnen. Nur im Innern , in der verschnürten Brust züngeln Flammen , kreischen Verfolger. Hinter der Stirn setzen Ungeheuer zum Sprung an. Zugeschnürt die Kehle. Seine Rippen ächzen in der Umklammerung. Sie werden bersten , ins innere Fleisch knicken wie dünne Holzstäbchen. Knochensplitter werden die Organe zerfetzen. Das Herz tost , es droht zu explodieren , bald , jetzt gleich springt es in hundert Stücke. › Halte ein ‹ , flüstert eine Stimme in seinem Inneren. › Fort , nur fort! ‹ , kreischt es aus allen anderen Richtungen. Wenn die Beine nachgeben , ist er verloren. › Bleib stehen , beruhige dich ‹ , spricht das Flüstern. › Nein , nicht anhalten , lauf , solange du laufen kannst! ‹ , brüllt es dagegen. Doch die Kräfte schwinden , die Muskeln erlahmen , Erschöpfung breitet sich aus , Müdigkeit schwer und zäh. Die Pfoten sind längst wieder Hände , zwei zitternde Beine statt Raubtierläufen , jetzt richtet es sich auf , das Angstwesen Mensch , verlangsamt seine Bewegungen , streckt den Rücken durch , wird gerade. Bleibt aufrecht. Holt Luft. Mehr Luft. Schaut sich um , noch immer irre , der Blick flackernd , mit weit aufgerissenen Augen.
    »Schweine. Diese verdammten Schweine!«
    Klar und deutlich sind die Worte zu hören , hallen durch den Wald , klingen falsch. Auswendig gelernt und aufgesagt. Phrasen , unterstrichen von hohlen Gesten. Er erschrickt über den Klang der eigenen Stimme aus dem Mund eines schlechten Schauspielers , der Worthülsen absondert in dieser fremden Gegend , Tausende Kilometer entfernt von bekanntem Gebiet: ein sonderbares Stück Land. Nie zuvor hat es hier so ausgesehen.
    »Laß uns nicht zuschanden werden , o Herr.«
    Halblaut kommt ihm der Ruf um Hilfe über die Lippen , wiederum gekünstelt , verlogen.
    Schluchzen.
    »Heilige Maria , Mutter Gottes , bitte für uns Sünder.«
    Erschütterung über die eigene Erschütterung , statt Erschütterung über das , was geschehen ist , geschehen wird.
    Und er hat noch gewettet , großmäulig , leichtfertig. Sprüche gemacht , obwohl er doch wußte , am Grund seines Herzens , wie ernst es war , wie ernst es ist in dieser Endzeit , daß diese Endzeit jetzt ist , mitten in der Gegenwart: › Wetten , daß die Welt innerhalb der nächsten fünfzig Jahre untergeht. ‹
    »Jetzt und in der Stunde unseres Todes.«
    Er schlottert. Der Kloß im Hals steigt höher und höher. Gleich werden Tränen sein Gesicht hinunterströmen , echte Tränen , die nach salzigem Salz schmecken. Tränen sind ein untrüglicher Beweis , daß einer etwas fühlt , daß das Gefühl echt ist , daß es gilt. Auf die moosbedeckte Anhöhe sollen sie tropfen , zwischen zerklüftetes Wurzelwerk , das aus dem Erdreich gebrochen ist , das sich über Jahrhunderte aufgebäumt hat gegen das Dasein im Dunkel.
    Unmittelbar vor ihm endet der Wald. Dahinter beginnen Viehweiden. Wenn man das Areal des Gregorianums verläßt , stoßen früher oder später alle Wege auf Viehweiden. Sie reichen bis zum Horizont , werden durchschnitten von der schmalen Straße , die an der Grenze beginnt und durch das Bauerndorf Halm nach Forch führt , aufgelockert von Weißdornhecken , Baumgruppen. Beim Zaun liegen Kühe , käuen wieder , behäbig , zufrieden. Ihr bräsiger Geruch. Sie schauen ihn an. Stumpfsinnige Blicke , mahlende Kiefer in unerträglicher Gleichgültigkeit. Mampfen , schnauben , als wäre nichts geschehen , als wäre alles wie immer und HEUTE ein Tag wie jeder andere. Aber HEUTE ist ein unvorstellbarer Tag. Der Tag , vor dem Seher und Propheten aller Zeiten gewarnt , vor dem die Jahrtausende gezittert haben , seit der Erschaffung des ersten Menschenpaars , das Sünde , Verderben und Tod über die Schöpfung gebracht hat. Es ist der von Gott verfluchte Tag , an dem die Ordnung des Universums zerbricht. Der Feuergraben des Schreckens tut sich auf , der Graben am Flammengrund der Welt , die auf ihren Untergang , auf ihren verdienten , selbst verschuldeten , von ihr selbst verursachten Untergang zutreibt , weil sie den Glauben an ihren Schöpfer und Erhalter verloren hat.
    Und Carl hat gewettet auf diesen Untergang.
    Gewettet mit Großkreutz , der halblegal Hi-Fi-Geräte aus Holland

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