Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition)

herüberschafft , damit einen Haufen Geld verdient und so tut , als lägen ihm die Mädchen zu Hause in Leverkusen scharenweise zu Füßen , als bräuchte er nur mit den Fingern zu schnippen , schon fielen sie ihm um den Hals , spielten mit der dicken Silberkette , die auf seiner angefetteten sonnenstudiogebräunten Brust liegt , betasteten seinen expandergestärkten Bizeps , und er sagt › Baby ‹ zu ihnen.
    › So , wie wir mit der Erde umgehen ‹ , hat Carl gewettet , › ist sie höchstens noch fünfzig Jahre bewohnbar , danach ersticken wir an all den Abgasen , die wir in die Luft pumpen , krepieren an verstrahltem Essen , an unserem eigenen Dreck. Genauso , wie es Häuptling Seattle schon vor über hundert Jahren prophezeit hat: Erst wenn der letzte Baum gerodet , der letzte Fluß vergiftet , der letzte Fisch gefangen ist , werdet ihr merken , daß man Geld nicht essen kann. ‹
    › Ist ja gut: Was willst du setzen? ‹
    Carl hat einen Moment gezögert , weil es ihm ernst war. Für den Bruchteil einer Sekunde hat er geglaubt , die Lächerlichkeit der Wette ließe sich für einen heilsamen Schock nutzen , der alle um ihn herum plötzlich zur Besinnung brächte. Das wäre ein Anfang gewesen. Aber mit welchem Einsatz soll man auf den Untergang der Welt wetten , ohne daß es lächerlich ist? Welcher Preis soll bezahlt werden , für den Augenblick , an dem das Spiel – an dem alle Spiele aus sind? Den Moment , hinter dem nichts mehr kommt noch geht , in keine Richtung: › Einen Kojak-Lolli. ‹
    › Von mir aus: Wir wetten einen Kojak-Lolli. ‹
    Alle haben gelacht. Und Großkreutz hat ihm auf die Schulter gehauen: › Ich verlängere dir die Frist sogar noch , weil du sowieso verlierst: Zu unserem fünfzigjährigen Abi-Treffen wird er fällig. Das ist in fünfundfünfzig Jahren , vorausgesetzt , daß es stattfindet , aber es findet statt , da bin ich mir hundertprozentig sicher. ‹
    Hat ihm die Hand hingestreckt , und Carl hat eingeschlagen , grinsend , doch das Grinsen bestand schon nur noch aus gefrorenen Gesichtsmuskeln. Dahinter wechselten sich Scham und Furcht ab: Scham , weil er durch diese alberne Wette die Tage des Zorns und der Vergeltung dem Gespött der Gottlosen preisgegeben hat , Furcht , weil die ganze Wette eine größenwahnsinnige Herausforderung des Schicksals war , eine Verhöhnung der himmlischen Mächte , die nicht ungesühnt bleiben wird. – Er wird sie sühnen müssen , ganz gleich , ob er bei diesem verfluchten Klassentreffen als Sieger oder als Verlierer dasteht , er wird bezahlen , mit einem Schicksalsschlag , mit schwerer Krankheit , dem plötzlichen Tod eines über alles geliebten Menschen. In seinem Hinterkopf dröhnte das Wort Jesu an den verfluchten Satan in der Wüste: Du sollst den Herrn , deinen Gott , nicht auf die Probe stellen .
    Mit seinem losen Mundwerk , das keinen dummen Spruch ausläßt , hat er genau das getan: Er hat Gott versucht.
    Gerade einmal sechs Wochen ist das her.
    Tags zuvor hatte ein Verrückter auf den amerikanischen Präsidenten geschossen , um die Schauspielerin Jodie Foster zu beeindrucken. Ganz gleich , ob der amerikanische Präsident auf der Seite des Guten steht oder Teil der Verschwörung des Bösen ist: Es lag auf der Hand , daß das Attentat ein Fingerzeig , ein Aufruf zur Umkehr war. Kuffel raunte bei Tisch Opgenhoff zu , daß es in den Geheimnissen , die Maria , die Mutter unseres Herrn und Erlösers , den Kindern von Fatima eröffnet habe , nach allem , was er wisse , eindeutige Hinweise auf dieses Ereignis gebe.
    Keiner hat sich um die Warnung geschert. Weder von den Staatenlenkern noch seitens der Bischöfe hat auch nur einer erklärt , daß die vollständige Umkehr aller Menschen des Erdkreises nötig sei , um das heraufziehende Unheil abzuwenden. Und er selbst hat das Menetekel , geschrieben mit dem Blut des amerikanischen Präsidenten auf den Marmor des Hilton-Hotels in Washington , für alberne Spielchen mißbraucht.
    Carl versucht durchzuatmen , rauft sich die Haare , zerrt an seinem Hemd. Er könnte es zerreißen , mit beiden Händen. Er stellt sich das Geräusch des Stoffes vor. Sieht sich dabei zu. Hört wieder Bruder Walters Stimme: › Es gibt eine furchtbare Nachricht , die auch uns angeht: Vor zwei Stunden hat sich in Rom ein Anschlag auf den Heiligen Vater ereignet. Papst Johannes Paul ist schwer verletzt worden. Ein – soweit man bisher weiß – türkischer Attentäter hat während der Generalaudienz auf ihn geschossen. Zur