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Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition)

Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition)

Titel: Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Peters
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erste Übersetzung im neuen Heft mit »Caesar ( der Schwachkopf ) « beginnt , hat er ihn unter Beobachtung. Da Carl weder schöne Augen hat noch den schüchternen Charme eines Mädchens simulieren kann , ist er auch nicht › von der Disziplinlosigkeit der anderen angesteckt ‹ worden , sondern › einer , der mit seiner Aufsässigkeit die Leistungsbereitschaft in der Klasse zerstört. ‹
    Im Grunde kann man jemandem , der die Botschaft Jesu ernst nimmt , nicht zumuten , sich über Monate mit der Selbstbeweihräucherung eines römischen Kriegsverbrechers zu beschäftigen. Krantz versucht allen Ernstes und obwohl er Priester ist , ihnen Caesar als Beispiel für Weitsicht und Tapferkeit darzustellen: Er hat den Barbaren Zivilisation beigebracht , das geht nicht immer ohne Gewalt , wie man ja auch im Lateinunterricht sieht. Krantz selbst war als Funker mit Rommel in Afrika und tut so , als wäre der Krieg ein Abenteuerspiel gewesen. Kein Unrecht , keine Toten , kein Entsetzen. Rommel , den sie Wüstenfuchs nannten , hat sich immer neue Listen ausgedacht und trotz gnadenloser Unterlegenheit seiner Truppe alle an der Nase herumgeführt.
    Nebenan knallt die Tür. Dann ist es heute nicht Dapper , der gegen Krüger Tennis spielt. Kurz darauf donnern Schlagzeug und Bass durch die Wand , als wäre dort keine. Dazu mehr geächzt als gesungen: »Ich fühle mich so seltsam / ich fühle mich so seltsam / ich / und ich / im wirklichen / Leben. / Die Wirklichkeit kommt , / Wirklichkeit kommt , / Wirklichkeit kommt , / Wirklichkeit kommt. / Ich fühle mich so seltsam.«
    »Unfaßbar , was der Mob heutzutage für Musik hält« , sagt Guntram.
    »Kann ich Latein von dir haben?«
    Zieht die Augenbrauen hoch , sagt: »Wieso machst du es nicht selber?«
    Wirft ihm sein Heft aufs Bett.
    »Der Mann kotzt mich an. Caesar.«
    »Im Grunde ist Abschreiben nichts anderes als Lügen.«
    »Kann ja sein , aber …«
    »Mußt du entscheiden , ob du das mit deinem Gewissen vereinbaren kannst. Ich geh’ noch eine halbe Stunde Brahms üben.«
    »Viel Spaß.«
    » Spaß ist sicher nicht das richtige Wort.«
    Carl wird den Klavierunterricht bei Schwester Eugenia zum Ende des Schuljahres aufgeben.
    »Unsere Kleidung ist so schwarz , / unsere Stiefel sind so schön. / Links den roten Blitz , / rechts den schwarzen Stern. / Unsere Schreie sind so laut.«
    Gegenüber dreht Bernhard Kuffel Beethovens 5. Klavierkonzert auf.
    »Ein neuer böser Tanz. / Ein neuer böser Tanz. / Alle gegen alle , / alle gegen alle , / alle gegen alle.«
    Carl kennt Kuffel kaum. Er wirkt nett. Regelrecht sanftmütig. Er prügelt sich nicht und terrorisiert keine Jüngeren , nicht einmal als Tischboß. Vielleicht liegt es daran , daß er erst Mitte der Obersekunda aufs Gregorianum gekommen ist. Sein bester Freund Holzkamp hingegen zählt zu den ekelhaftesten Gestalten , die Carl bisher über den Weg gelaufen sind. Er wurde ein dreiviertel Jahr vor Kuffel aufgenommen , angeblich auf Empfehlung eines emeritierten Theologieprofessors aus Münster , weil schon feststeht , daß er Priester werden wird. Es heißt , Holzkamp sei der einzige Schüler , der Präses Dr. Roghmann zum Beichtvater hat. Holzkamp und Kuffel wirken um Jahrzehnte älter als alle anderen , fast wie Greise. Es liegt nicht nur an ihrem Aufzug: kleinkarierte Hemden , graue Bundfaltenhosen und Lodenmäntel.
    »Bitte. / Bitte. / Bitte sage nichts. / Glaube mir. / Alles ist gut. / Alles ist gut. / Sei still.«
    Gegenüber schlägt der Pianist in die Tasten , als wollte er das Klavier zertrümmern.
    Kein Mensch hält das aus.
    Carl tritt auf den Flur , es sind drei Schritte zu Kuffels Zimmer , schlägt mit der Faust gegen die Tür. Im selben Moment wird die Musik auf normale Lautstärke gedreht. Er öffnet , sagt: »Muß das sein? Ich kann so nicht denken. Weder denken noch lesen , noch sonst was.«
    Kuffel hockt auf seinem Bett , zieht ruckartig die Hand vom Regler , als wäre er bei etwas Verbotenem ertappt worden , senkt den Blick , schaut wieder auf , lächelt , sieht Carl an , mit einem merkwürdigen Blick aus dunkelbraunen Tieraugen: Antilopen schauen so. »Entschuldige , Carl , ich wollte dich nicht stören. Ich mußte mich vor diesem Teufelszeug schützen.«
    In dem mit dunkelgrünem Cordstoff bezogenen Sessel aus Stahlrohr vor dem geöffneten Fenster zum Kreuzgarten hin liegt , mehr als er sitzt , Holzkamp , die Arme vor der Brust verschränkt , sagt: »So. Du denkst also. Interessant. Das können nicht viele

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