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Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition)

Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition)

Titel: Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Peters
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Befehle , Anweisungen , das Pfeifen und Knacken der Funkgeräte. Im Zentrum von all dem Entsetzlichen , zusammengesackt in den Polstern des offenen Wagens , dessen Fahrer verzweifelt versucht , ein Durchkommen zu finden , der Heilige Vater , Papst Johannes Paul der Zweite. Alle Farbe ist aus seinem Gesicht gewichen , schmerzverzerrte Züge. Die weiße Soutane blutdurchtränkt. Wie er die Hände auf den Bauch preßt , versucht das herausquellende Gedärm festzuhalten. Tiefer und tiefer sackt er in sich zusammen. Die Atmung wird schwächer , die Lebenskraft entweicht. Doch das immerwährende Gebet in seinem Herzen schwillt an , wird ein Tosen , das bis an die Grenzen des Universums vernehmbar ist , weil er doch einen Auftrag hat , weil seine Bestimmung noch nicht erfüllt ist. Trotzdem betet er , wie Jesus am Ölberg , in der Stunde der größten Not gebetet hat: Nicht mein Wille , Dein Wille geschehe .
    Carl spürt dem Schluchzen nach. Es ist schwächer geworden. Er konzentriert sich. Er will weinen , ungehemmt und losgelassen. Gott und alle Welt , Engel und himmlische Heerscharen sollen sehen , wie aufgewühlt er ist , daß sein Herz vor Zerknirschung birst. Doch die Tränen stecken fest. Statt dessen ein Anflug von Triumph , der über ihn hinweghuscht wie der Schatten einer Elster , hoch oben in den Kronen. Vor seinem inneren Auge die Szene , wie Großkreutz ihm den kirschroten Kojak-Lolli übergibt , gesenkten Haupts , aschfahl. Die Landschaft dahinter eine Wüste , Trümmer , Gesteinsbrocken , ausgebrannte Fahrzeuge , geschmolzene Stahlträger. Es ist eine ganz und gar überflüssige , zutiefst schändliche und beschämende Gefühlsregung , die sich seiner bemächtigt hat. Carl nimmt beide Hände zu Hilfe , um sie fortzuwischen. Von hoch oben aus den Wipfeln der Buchen hört er das Keckern des Vogels , der kein Vogel ist.

Acht
    »Du willst mir doch nicht allen Ernstes erzählen , daß du weißt , wie sie heißt?«
    »Sie heißt Ursula. Aber alle nennen sie Usch « , sagt Bart.
    »Und woher stammt die Information?«
    »Lipschitz hat es mir gesagt.«
    »Kann man sich darauf verlassen? Ich meine , es wäre blöd , wenn ich sie treffe und › Hallo Usch ‹ zu ihr sage , aber in Wirklichkeit heißt sie Claudia oder Anne.«
    »Lipschitz kennt sie. Weil sie auch aus Mariendorn kommt und mit seiner Schwester zur Schule gegangen ist.«
    »Hast du ihn danach gefragt?«
    »Ergab sich so.«
    »Aber du hast hoffentlich nicht gesagt , daß du es für mich wissen willst?«
    »Für wie doof hältst du mich?«
    »Und was hast du ihm erzählt , weshalb du dich für sie interessierst?«
    »Gar nichts. Sie ging gerade über die Brücke , als ich mit Lipschitz dort stand. Er hat ihr gewunken , als ob er sie kennt , da hab’ ich ihn halt nach dem Namen gefragt. Lag doch nahe.«
    »Lipschitz ist ein Vollidiot.«
    »Das hat ja nichts damit zu tun , wie sie heißt.«
    »Wenn sie ihre Zeit freiwillig mit Leuten wie Lipschitz verbringt.«
    »Mit seiner Schwester.«
    »Glaubst du , die Schwester ist weniger debil?«
    »Jedenfalls hat er gesagt , daß diese Ursula oder Usch wirklich nett ist.«
    »Das macht es nicht besser.«
    »Ich weiß gar nicht , was du gegen Lipschitz hast. Wenn man etwas braucht , Kaffee , Zucker oder so , kann man ihn immer fragen. Er mosert nicht mal , wenn man drei Tage hintereinander kommt.«
    »Lipschitz hat so viel Hirn wie eine Beutelratte. Außer Fußball interessiert er sich für gar nichts. Ich mein’ , er läuft den ganzen Tag in Bayern -Klamotten herum. Neulich ist er grölend durch den Kreuzgang gerannt: Deutscher Meister wird nur der FCB , / nur der FCB , / nur der FCB .«
    »Kann ja sein. Aber eigentlich ist er in Ordnung.«
    Carl geht zu seinen Schallplatten , die vor der Wand auf dem Boden stehen , alphabetisch geordnet. Er schaut die Alben durch , schüttelt den Kopf , sagt: »Sind jetzt vierundsechzig.«
    »Nicht schlecht.«
    Bart nimmt seinen Teebecher vom Tisch und hockt sich vor das Aquarium.
    »Ist das normal , daß der große bunte – wie heißt er noch?«
    »Macropodus opercularis. – Paradiesfisch.«
    »… daß der so auf die kleineren losgeht?«
    »Weiß ich nicht. Er ist das Männchen. Die drei anderen , die so ähnlich aussehen , nur blasser , sind die Weibchen dazu. Man hält sie mit Harem . Stand jedenfalls im Buch.«
    »Sieht aus , als ob er sie richtiggehend haßt.«
    »Ich versteh’ es auch nicht.«
    »Brutal.«
    »Aber er rupft überall Pflanzenteile ab und versucht ein

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