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Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition)

Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition)

Titel: Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Peters
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Aas in den Saharas , Aas am Amazonas , gez. Fritz Geier . Aus dem Spiegel , den er manchmal benutzt , um sich anzustarren , schaut ein fremdes Wesen: aufgeweichtes Wangenfleisch , rotgeriebene Augen , Herpesbläschen auf der Lippe. Ein Toter bei lebendigem Leib , im Kern schon verwest , von Fäulnis durchzogen wegen all der Bosheit , die seit Kindertagen dort wuchert. Wenn die Leute wüßten , wie es tatsächlich in seinem Inneren aussieht , würde niemand etwas mit ihm zu tun haben wollen. Sie würden ihn meiden , ihn aus ihrer Gesellschaft entfernen , wie die Aussätzigen des Evangeliums , nur daß vor dem Jüngsten Tag kein Gottessohn käme , ihn zu heilen. Er hat versucht , Regina eine Ahnung davon zu geben , in der irren Hoffnung , sie würde ihn trotz allem lieben. Diese Liebe wäre seine Rettung gewesen. Was er ihr zugemutet hat , war mehr als sie tragen konnte. Er muß Verständnis für sie haben. Wenn er sich durch das Bild im Spiegel auf den Grund schaut , sieht er , daß er kein Recht hat , sie zu verurteilen.
    Er wendet sich um , sein Blick gleitet über die Plattensammlung , er läßt Musik an seinem inneren Ohr vorbeiziehen. Irgendein Lied , mit dem es sich aushalten ließe. Das die Schande überdeckt. Peter Gabriel , der auch von allen Seiten Feuer an sich gelegt hat , um das Eis in seinem Innern zum Schmelzen zu bringen: Empty stomach , empty head / I got empty heart and empty bed. Ein Lied , das den Schmerz erstickt. I don’t remember , I don’t recall / I got no memory of anything at all. So ist es aber nicht. Er erinnert sich an alles. Jedes Wort an Regina , der er mehr von sich offenbart hat als je zuvor einem Menschen. Der Gedanke läßt erneut seine Gesichtshaut glühen. Es schnürt ihm den Hals zu , sobald sein Blick ihre Antwort streift. Das kranke Grün des Umschlags strahlt wie radioaktiver Abfall. Der ganze Raum ist kontaminiert. Es dringt in die Möbel , die Wände. Selbst die Bücher sind verseucht. Womöglich wird er sie nie wieder unbefangen aufschlagen können. Wenn er das Wort › Hallo ‹ denkt , wird ihm übel. Das Wort › Hallo ‹ wird ihm für den Rest seines Lebens unerträglich sein. Es wäre das Beste , den Brief wegzuwerfen und sofort anschließend den Papierkorb in die Haupttonne zu entleeren , ein Befreiungsschlag , wie er sich das Auge , das ihn zur Sünde verführt , herausreißen müßte. Aber er kann unmöglich das einzige Beweisstück dafür vernichten , daß es diese Liebe gegeben hat: Der Brief bezeugt eine Tragödie , die sich wirklich ereignet hat zu Beginn der achtziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts , im westdeutschen Grenzland. Vermutlich ist schon die Hoffnung trügerisch , daß die Vernichtung des Briefes Erleichterung bringen würde. Eine halbe Stunde später stünde er bis zu den Knien eingesunken in der Mülltonne , würde in schimmligen Brotkanten , Kaffeefiltern wühlen , um ihn wiederzufinden.
    Er öffnet die Schreibtischschublade , nimmt das Feuerzeug heraus , läßt es aufflammen , hält die Flamme , bis ihm die Daumenkuppe heiß wird , legt es vor sich auf die Unterlage. Die Vorstellung des brennenden Briefes. Wie sich das Feuer als rote Linie und scharfer Rauch von den Rändern her hineinfrißt. Eine Möglichkeit. Später. Es klopft. Er dreht das Gesicht zur Tür , sagt nicht › Herein ‹ .
    Die Tür öffnet sich trotzdem , zögernd und leise , nicht mit Schwung , wie Bruder Walter sie aufreißt , wenn er auf der Jagd nach Verbotenem ist , auch nicht entschlossen wie ein Schnorrer sie aufstößt , der um Essen oder Tabak von Zimmer zu Zimmer zieht.
    Kuffel steht dort , leicht nach vorn gebeugt , die Schultern hängend , sagt: »Hallo.«
    Carl stöhnt vor Schmerz auf: »Nein!«
    »Entschuldige. Soll ich ein anderes Mal wiederkommen?«
    »Sag nicht dieses Wort. Nicht: Hallo .«
    Kuffel schaut ihn verständnislos an , legt die behaarten Hände über seinem Kugelbauch aufeinander.
    »Wir hatten doch darüber gesprochen , daß ich mir gern deine Fische ansehen wollte , und da es jetzt bald Ferien gibt , dachte ich mir , ich klopfe einfach mal.«
    Carl fällt nichts ein , was er sagen könnte , ihm ist alles egal.
    Kuffel wagt nicht einzutreten , wartet , daß etwas geschieht. Zeit verstreicht. Noch immer steht er im Türrahmen , murmelt vor sich hin. Begreift , daß etwas vorgefallen ist , senkt den Blick , ordnet seine Gesichtszüge , hat jetzt einen Ausdruck tiefen Mitgefühls: »Kann ich dir helfen?«
    Carl schüttelt den Kopf.
    »Vielleicht

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