Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition)
möchtest du mit jemandem reden.«
»Bringt nichts.«
»Oft hilft es , wenn man einfach darüber spricht.«
»Ist zu spät. Alles zu spät.«
Eging schaut vom Flur aus herein , sieht Carl , wie er eingesunken an seinem Schreibtisch sitzt , fragt: »Alles klar bei euch.«
»Danke , Markus« , sagt Kuffel , »deine geschätzte Anwesenheit ist im Augenblick nicht vonnöten.«
Carl läßt seine Stirn in die Handfläche fallen: »Mach die Tür zu. Von innen oder von außen , wie du willst , fühl dich frei. Das Aquarium ist hier vorne rechts. Aber wie gesagt: Ich bin in schlechter Verfassung.«
Kuffel setzt vorsichtig einen ersten Schritt ins Zimmer , dreht sich um , schließt lautlos die Tür , durchquert Guntrams Teil , ohne nach rechts und links zu schauen , geht gesenkten Hauptes an Carl vorbei , steht da , sieht sich um , langsam und systematisch , ein wohlwollender Versicherungsgutachter , der seine Vorgaben hat , aber doch nicht gleichgültig gegenüber dem Schicksal des Geschädigten ist: »Beeindruckend , wie viele Sorten Tee du besitzt« , sagt er.
»Soll ich welchen kochen?«
»Danke. Für mich im Augenblick nicht.«
»Lieber Kaffee? Unterm Tisch ist auch Schokolade.«
Kuffel tritt an das Bücherregal , beugt sich vor , nimmt die Hände vom Bauch , legt sie auf den Rücken. Seine Füße stecken in Pantoffeln aus grobkariertem Wollstoff. Er schnuppert die Buchrücken ab , Bücher zur Vogelbestimmung , zur Fischkunde , Aquarienpflege , Expeditionsberichte von Sielmann und Hagenbeck , Goethes Faust in Leinen , dazu Gedichte von Trakl , Brecht , Rilke , Romane von Wilder , Böll , Jack London ; Das moderne Lexikon in zwanzig Bänden. Kuffel wittert wie ein Drogenhund.
»Ist Kunstleder« , sagt Carl.
»Die Fische spielen eine entscheidende Rolle in deinem Leben , nicht wahr?«
»Kann sein. Ja.«
Kuffel überlegt , wie er das Gespräch fortsetzen soll. Offensichtlich will er sich unterhalten , ganz gleich worüber , selbst wenn es gar nichts zu sagen gibt. Er wendet sich der Reproduktion von van Goghs Brücke in Arles , zu , die Carl gerahmt hat , sagt: »Ein großer Maler , Vincent van Gogh. Aber auch ein furchtbares Beispiel dafür , was passieren kann , wenn man versucht , sich den dunklen Mächten ohne Gottes Hilfe entgegenzustellen.«
»Er ist halt verbrannt.«
»So kann man es ausdrücken. Nichtsdestoweniger bleibt die entscheidende Frage , wie es dazu kommen konnte?«
»Manche Menschen verbrennen einfach , weil das Feuer von innen zu groß wird , um es auszuhalten.«
»Er ist der Verzweiflung anheimgefallen. Weil er Christus den Rücken gekehrt und statt dessen auf sich selber gesetzt hat. Die Folge solcher Selbstisolation ist das Feuer , das die von jedem DU abgetrennte Seele in der Hölle brennen läßt.«
»Vielleicht muß das bei großen Künstlern so sein.«
»Das glaube ich allerdings nicht. Zum Beispiel der Maler , der dieses schöne Mädchen mit dem Sonnenschirm geschaffen hat …«
»Renoir.«
»Er hatte eine ganz andere innere Verfaßtheit. Deshalb ist er imstande gewesen , Schönheit zum Ausdruck zu bringen , klar und rein. Ohne Wollust und ohne die diabolische Grundierung , die man bei van Gogh spürt.«
Carl prüft aus den Augenwinkeln , ob Kuffel eine Ahnung hat , weshalb die Karte dort hängt , kommt zu dem Ergebnis , daß ihm weder Carls übertriebene Bereitschaft zum Nachholen aufgefallen ist , noch hat er Gerüchte aufgeschnappt.
»Es ist ein Jammer , daß es diese Sorte Mädchen nicht mehr gibt.«
Offenbar hat Kuffel sie noch nie in der Küche gesehen.
»Was man heutzutage vorfindet , sind Weiber , die sich der Emanzipation verschrieben haben und herumkrakeelen. Oder sie sind dem Ausleben ihres Triebs ergeben. Die sexuelle Begierde verwüstet ihre Gesichter , bevor sie überhaupt erwachsen geworden sind.«
»Aha?«
»Ist dir schon einmal ein Mädchen begegnet , das diese Art Unverderbtheit hat?«
Gestern hätte Carl › Ja ‹ gesagt , › ich kenne mindestens zwei. ‹
Er nimmt das Feuerzeug vom Tisch , entzündet die Flamme , starrt sie an , bläst sie aus , entzündet sie neu , lächelt gequält , schaut zu Kuffel hinüber , weiß nicht , ob ihn das triefende Mitleid in dessen Augen tröstet oder nervt , sagt: »Die Fische sind da unten , unmittelbar vor dir.«
Schweigen. In das Schweigen klingen langgezogene Stöhnlaute vom Tennisplatz herauf. Kuffel zieht eine Braue hoch , ein Anflug von Anzüglichkeit um die Mundwinkel , dann wieder Mitleid: »Was ist
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