Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition)

Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition)

Titel: Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Peters
Vom Netzwerk:
Vollendung und Todsünde , Seligkeit und Höllenqual unmittelbar nebeneinander. Nirgends wartet größeres Glück , aber es gibt auch keinen furchtbareren Schmerz.«
    Carl nickt nur.
    »Hast du schon eine Freundin.«
    Er muß schlucken , ehe er eine verständliche Antwort geben kann.
    »Bis heute morgen. Aber ihre Eltern haben ihr jetzt jeglichen Kontakt mit mir verboten. Unter Androhung härtester Konsequenzen.«
    »Das ist schrecklich.«
    »Deswegen.«

Zehn
    Er traut seinen Augen nicht , als er auf dem weiten Parkplatz zwischen Steingregor und Brücke aus dem Wagen steigt und der Vater fragt: »Fahren die Mädchen da auch mit?«
    Staubfeiner Niesel. In der Luft hängt modriger Geruch. Nach einer Woche Ferien fällt ihm das auf. Sträucher und Bäume entlang des Grabens schimmern sattgrün wie Regenwälder.
    Er hat die Frage verstanden , mehr nicht.
    Der Bus mit der Aufschrift Westfälischer Bote wartet , die Gepäckklappen stehen offen. Fred Gieseking , dessen Eltern das Busunternehmen gehört , lädt Taschen und Rucksäcke ein. Guntram ist schon da , Pille Löser auch.
    Der himmelweite Unterschied zwischen dem , was man sieht , und dem , was man versteht.
    Jan Rasche , der vergangenes Jahr Abitur gemacht hat , stützt sich auf seinen Gitarrenkoffer. Er trägt lange Haare und Bart , was für Schüler verboten ist. Rasche ist manchmal nett und manchmal ein Arschloch , man weiß nie , wann es umschlägt.
    »Dann wird es wohl Krieg geben« , sagt der Vater und lacht.
    Bei Rasche stehen die Ehemaligen Heinz-Bernd Zimmer , der Kirchenmusik studiert und sich auf die Bergführerprüfung vorbereitet , und Günter Miersch , der nach kurzem Aufenthalt im Priesterseminar einer Frau wegen auf Sozialpädagogik umgestiegen ist. Seither wird er vom Präses nicht mehr als Vorbild genannt.
    Die richtigen Schlüsse ziehen , Fragen in Antworten verwandeln , so daß das Gesehene verständlich wird.
    Der Präses unterhält sich mit den Eltern von Eging. Über dem schwarzen Anzug mit schwarzem Pullover , weißem Hemdkragen , trägt er seinen dunkelblauen Anorak , dazu die beige Schirmmütze , die er nur in den Bergen aufsetzt. Es sind die einzigen farbigen Kleidungsstücke , die er besitzt. Carls Mutter steuert schnurgerade auf ihn zu , der Vater folgt einen halben Schritt dahinter , dann Carl , der vergessen hat , wie man schlicht und einfach geht , weil eines der beiden Mädchen , auf die sich die Frage des Vaters bezogen hat , die ist , die Usch oder Ursel oder Ursula heißt. Sie wendet sich in seine Richtung , ohne ihn zu beachten , streicht über den Kopf einer Kleinen , die ihre Schwester sein könnte , lacht mit ihrer Freundin Andrea. Bei ihnen stehen zwei Männer und eine Frau , die Carl nicht kennt , außerdem Schwester Adelgundis und die Obernonne Pankratia. Beide kehren Carl den Rücken zu , so daß sie nicht mitbekommen , wie er bei dem Versuch , sich mit lässig schwingenden Hüften , schlackernden Schultern durch die Aufmerksamkeit der beiden Mädchen zu bewegen , in ein Schlagloch tritt und beinahe fällt. Ursel oder Usch vielleicht sogar Ulla schaut erschrocken , lächelt aber gleich wieder , als sie sieht , daß er sich halbwegs geschickt mit einer Hand abfängt , lediglich das Knie in den harten Sandboden rammt , statt der Länge nach hinzuschlagen. Der Stich , mit dem sich ein Kiesel durch den Jeansstoff in die Knochenhaut bohrt , treibt ihm Tränen in die Augen. Er schluckt den Schmerz hinunter , wischt das Feuchte mit dem Handrücken von den Wangen , als wäre es Regen , schafft es zu lächeln.
    Die Mutter drängt sich mit einer Bemerkung über das bescheidene Wetter zwischen den Präses und Egings Eltern. Der Vater sagt: »Es gibt kein schlechtes Wetter – nur falsche Kleidung«.
    Carl schaut den Präses an , dessen Gesicht freundlich verschlossen ist wie bei alten Asiaten. Keine unkontrollierte Bewegung verrät , was er denkt. Er sagt: »Und , Carl , hast du genügend Hühneraugenpflaster eingepackt?«
    Kichert. Dann zu den Eltern: »Wir sind zuversichtlich , daß Petrus es auch in diesem Jahr gut mit uns meint.«
    Fährt ernst fort: »Auf unserer Schweizfahrt ruht immer der besondere Segen des Himmels.«
    Carl nickt , denkt im selben Moment an das Holzkreuz oberhalb der Klierschlucht. Dreihundert Meter von der Gregoriushütte entfernt , erinnert es an den Kahlenbecker Tertianer Erwin Oberbaum , der dort vor vierzehn Jahren bei einem Felsabbruch in den Tod gestürzt ist. Vielleicht denkt auch die Mutter an Erwin

Weitere Kostenlose Bücher