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Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition)

Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition)

Titel: Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Peters
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hat , ist so ein Eilmarsch kein Vergnügen. Aus der Ferne sieht er schon , daß über seinem Dorf Rauch aufsteigt. › Um Gottes willen ‹ , denkt er , › was mag dort passiert sein? ‹ Der Ochse , der ihm ohne Schwanz und Ohren entgegenrast , gehört ihm , seine Schweine laufen aufgeregt auf der Straße herum. Als er schließlich zu Hause eintrifft , sind von seinem schönen Hof nur noch verkohlte Ruinen übrig , und zwischen den qualmenden Trümmern sitzt lachend der Teufel , in seiner Hand hält er den gebratenen Schenkel des Bauerntöchterchens.«
    Der Präses kichert wieder.
    »Soso« , sagt der Vater.
    »Wie es im Sprichwort heißt , › Müßiggang ist aller Laster Anfang ‹ « , die Mutter.
    »Und damit uns das nicht passiert , scheuchen wir unsere Teufel die Berge hinauf , nicht wahr , Carl.«
    Carl erschrickt , daß sich der Präses unmittelbar im Anschluß an diese Geschichte ihm zuwendet , sagt: »Ja.«
    Er denkt an die Gabe des zweiten Gesichts , fürchtet , daß längst all seine Geheimnisse offen vor ihm liegen. Er muß sich zusammenreißen , doch die Augen tun , was sie wollen , seine Gedanken schweifen in jede Richtung davon. Ihm bleibt nur die Hoffnung , daß sie zu schnell sind oder in dem Stimmengewirr untergehen , das der Präses ständig in seinem inneren Ohr haben muß.
    Carl schaut so desinteressiert wie möglich in der Gegend herum.
    Die , die Ursel , Usch oder Ulla heißt , lächelt , und Carl glaubt , es gilt ihm. Er errötet , dreht sich so weit wie möglich vom Präses weg.
    Die Mutter sagt: »Bei uns stand neulich in der Zeitung , daß tatsächlich jedes Jahr mehr Deutsche ihre Ferien damit verbringen , auf Mallorca oder auf den Kanaren in der Sonne zu braten. – Also für mich wäre das nichts.«
    Einmal von diesem Lächeln berührt werden. Dann erschiene alles in neuem Licht , und es begänne doch noch ein Sommer , der warm genug wäre , Reserven für die nächste Eiszeit anzulegen. Es stimmt aber auch , daß sie ein bißchen prall in ihrer Hose hängt.
    Herr Gieseking hupt zum Einsteigen.
    »Wir machen uns auch auf den Weg« , sagt die Mutter. Sie hat Tränen in den Augen. Carl bleibt nichts anderes übrig als sie zu umarmen. Für den Vater genügt ein Handschlag.
    Guntram kommt und fragt: »Sollen wir Plätze nebeneinander nehmen?«
    Er nickt.
    Es ist weit nach Mitternacht , die Müdigkeit nimmt überhand , in jeder Position kribbeln andere Gliedmaßen , er holt seinen Schlafsack aus der Ablage , legt sich im Gang auf den Boden. Es ist ein Versuch. Guntram findet die Idee abwegig , weiter vorn tun Martin Kriens und Pöttering es ihm nach. Das Hauptlicht wird ausgeschaltet. Einige flüstern , vereinzelt schimmern Leselampen über den Sitzen. Von vorn , ganz leise , das Gedudel des Radios. Irgendwann halten sie in der orange beleuchteten Zollstation. Zwei Zöllner in Uniform schauen den Stapel Pässe durch , zählen Köpfe. Später klingen die Verkehrsnachrichten und Musikansagen schwyzerdütsch. Er sieht Emil Steinberger auf dem Telegrafenamt , lacht kurz , dämmert wieder weg , gleitet in wirre Bildfolgen , japanische Touristen auf der Äschlialp , aus ihren Kameras tropft Öl , schwarzweiß gefleckte Schweine , Mutter mit offenem Rücken , eiterndes Fleisch , die unerbittliche Nachricht , daß sie bald sterben wird. Ein Tiertrainer des Duisburger Delphinariums kommt und bringt ihr den Unterkiefer eines frisch getöteten Dornhais. Der Vater ist nicht einverstanden , wagt aber nicht , dagegen vorzugehen. Haiknochensud ist das einzige , was sie retten kann. Krochli küti hänsi kranthen. Dann Farben , aus denen zerfledderte Flugwesen springen. Dämonen vielleicht. Sie ziehen den Geruch überreifer Pfirsiche nach , kreischen an seinen Ohren vorbei. Immer öfter werden die Bilder von Füßen auf dem Weg zur Bustoilette unterbrochen. Gemurmelte Entschuldigungen , auch Tritte mit Absicht. Die Uhr sagt halb fünf. Er ist mehr wach als er schläft , draußen das Frühlicht. Die Gelenke schmerzen , der Nacken ist steif. Brüchig und feucht kehrt die Außenwelt aus düsteren Zwischenreichen , unteren Seelengegenden zurück. Ohrensausen , Schweißgeruch , zwischen den Zähnen ein Geschmack wie verfaulte Katzenleber. Über Nacht hat sich Bangigkeit ausgebreitet , Beklemmung auf Spinnenbeinen , in ihren Mundwerkzeugen giftiger Speichel. Das Verlangen , den Bus anzuhalten , auszusteigen , in entgegengesetzter Richtung fortzugehen , um eine andere Welt zu finden.
    Er steht auf , rollt den

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