Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition)
etwas wäre. Die beiden älteren Mädchen tun es ihr nach , zehn , fünfzehn Köpfe schauen sich plötzlich um , auch Carl – da ist aber nichts.
»Lasset uns beten: Herr , unser Gott , behüte uns auf allen Wegen , die wir in den kommenden drei Wochen beschreiten werden. Laß sie uns aufrichtig und voller Demut gehen , auf daß jeder Schritt , den wir tun , uns ein Schritt zur Vollendung in Dir werde. Darum bitten wir durch unseren Herrn und Meister , Jesus Christus , Amen.«
Carina führt aus der Entfernung mit Hilfe von Daumen und Zeigefinger eine Art Vermessung der Ikone durch.
»Es segne euch und alle , die zu euch gehören , der allmächtige Gott , der Vater , der Sohn und der Heilige Geist.«
Der Präses wendet sich zur Seite , nimmt die Stola ab , faltet sie zusammen , legt sie auf das Tischchen an der Rückwand , auf dem während der Messe Hostien , Wein und Wasser bereitgestellt sind. Er tritt zu Präfekt Lohfing , sagt etwas , das sonst niemand versteht. Präfekt Lohfing dreht sich um , scheint zu zählen oder sich Gesichter einzuprägen , legt die Stirn in Falten , erwidert etwas , beide lächeln.
Ursula-Usch lächelt auch , beugt sich zu Carina hinunter , flüstert: »Hast du Hunger?«
Schwester Adelgundis mischt sich ein , obwohl sie gar nicht angesprochen war , greift nach Carinas Arm , sagt: »Du kommst am besten mit mir , wir haben bestimmt etwas Süßes für dich in der Küche.«
Genauso ist es in Kahlenbeck: Einige wenige , an denen sie einen Narren gefressen hat , überschüttet sie mit einer kranken Abart von Liebe , alle anderen terrorisiert sie so bösartig und hinterlistig , wie es nur einer frustrierten Hexe einfallen kann.
Carl steht als einziger noch in Richtung auf den Altar gewandt , weil ihm vor Wärme und Schönheit des Mädchens Ursula , Ursel , Usch oder Ulla die Kontrolle abhanden gekommen ist. Sie beachtet ihn nicht. Bis jetzt hat sie auch nichts bemerkt von den Anstrengungen , die er in fragwürdiger , wenn nicht sündiger Weise während der zehn Minuten Altarweihe und Predigt unternommen hat , um ihr durch die Zwischenschichten der Luft eine Nachricht zu schicken. Nicht einmal daß er sie anstarrt , registriert sie.
Jetzt bewegt auch sie sich Richtung Ausgang. Schwester Adelgundis und die Obernonne Pankratia haben die beiden Älteren samt Carina in ihre Mitte genommen , schirmen sie ab , damit es nicht zu zufälligen oder beabsichtigten Berührungen durch Schülerarme kommt. Carl steht hinter Eberhard Simon und Pille Löser. Plötzlich hat er ein merkwürdiges Gefühl in seinem Rücken. Er ist sich sicher , daß er den Blick des Präses auf sich spürt , beinahe so deutlich wie eine Berührung , halb mahnend , halb ermutigend. Es kann nichts anderes sein als ein Blick , denn unmittelbar hinter ihm ist niemand. Er bekommt Gänsehaut , dreht sich um. Der Präses ist noch immer im Gespräch mit Präfekt Lohfing und nimmt keinerlei Notiz von ihm.
Draußen blendet das Licht. Die Obernonne Pankratia bleibt mit Andrea und Ursula-Ulla bei dem steinernen Trog stehen , der von einem Rinnsal Gletscherwasser gespeist wird. Es ist das beste Wasser , das Carl je getrunken hat. Etwas in der Art erzählt die Obernonne Pankratia gerade den Mädchen , dann hält sie ihre Hand unter das Rohr , aus dem der Strahl in das Bassin plätschert , nimmt einen Schluck , fordert sie auf , es ihr gleichzutun , während Schwester Adelgundis mit Carina in der Gregoriushütte verschwindet , um sich Zuneigung mit Süßkram zu erkaufen.
Präfekt Lohfing kommt mit Günter Miersch die Treppe von der gelb-weiß gestrichenen Balustrade vor den Betreuerzimmern herunter und faltet die Fahne mit dem Kahlenbecker Wappen auseinander – das aufgeschlagene Buch , über dem ein Kreuz schwebt , umgeben von sieben Sternen , die für die Gaben des Heiligen Geistes stehen. Sie wird am Heuschober bei der Zufahrt aufgehängt und zeigt an , daß die Gregorius-Hütte bewohnt ist.
Miersch wirft einen abschätzenden Blick auf Hintern und Schenkel der Mädchen , obwohl er vor kurzem geheiratet und ein Kind bekommen hat. Auch Andrea ist üppig. Nicht dick. So , daß man sie schön finden kann. Wenn es Liebe ist.
Die Lust vergeht , der Ekel bleibt.
Ursula-Ulla beugt sich vor , hält ihren Mund unter den Strahl , das Wasser spritzt , sie kreischt auf , lacht , ihre Bluse ist naß , darunter zeichnet sich der BH ab , ein festes Gebilde aus zwei Rundformen mit massiv verstärkter Spitze , so daß man kaum erkennen kann , ob
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