Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition)
als das Ehmarnhorn , und sobald die Sonne dahinter verschwunden ist , hört es auf , schätze ich , denn wie gesagt , ich habe das in dieser Form auch noch nie erlebt , doch du brauchst dir auf keinen Fall Sorgen zu machen , das Ehmarnhorn , genau wie der Satanswinkel – das schwarze Dreieck davor – , sie sind viel weiter von uns entfernt , als es scheint.«
»Ich habe ganz kurz gedacht , der Berg explodiert , wie vor zwei Jahren oder wann war das , dieser Vulkan in Amerika. Aber es ist einfach nur wunderschön.«
Er überlegt , was er sonst sagen könnte , über die Berge , die Feuer , das Abendlicht , denn auf Ursula-Ullas linker Seite nähert sich Rasche dem Ende des Lieds , dann wird sie sich wieder ihm zuwenden.
»I should have been home ,
yesterday , yesterday.«
Jetzt ist dort nur noch eine schmale Glutkante , wie Lichtreflexe auf einer Klinge.
»Hast du das gesehen , da am Ehmarnhorn?« fragt sie Rasche.
Er schaut sie auf diese souveräne Art an , die man hat , wenn man etwas so Großartiges wie eine Martin -Westerngitarre mit Stahlsaiten , an denen sich Anfänger die Finger blutig spielen , lässig und schmerzfrei beherrscht.
»Ich war schon oben« , sagt er , und Carl wirft »Vor zwei Jahren , oder?« ein , um überhaupt im Gespräch zu bleiben.
»Bist du da auch hier gewesen?« fragt Rasche , als ob er es nicht wüßte.
»Ich war in deiner Gruppe.«
»Aber nicht mit auf dem Ehmarnhorn.«
»Natürlich nicht mit auf dem Ehmarnhorn.«
»Wie alt warst du damals?«
Er fragt das nur , damit sie es klar und deutlich hört.
»Knapp dreizehn.«
Sie sitzen zu dritt nebeneinander auf der verwitterten Laderampe des Heuschobers , zweieinhalb Meter über der Zufahrt. Carl haßt Rasche , obwohl er ihn eigentlich mag , und Rasche tut alles , damit Carl endlich verschwindet , was so schnell nicht passieren wird. Er ist sicher , daß Ursula-Ulla für Rasche nur ein Ferienspielchen wäre.
»Das Ehmarnhorn gilt als der schwierigste Berg der Schweiz. Abgesehen von der Eiger-Nordwand.«
Der Gipfel vor dem Himmel sieht aus wie das Ziel aus Licht am Ende des steilen Pfads der Gottsuche , von dem Präses Roghmann immer spricht. Die Südostflanke wird von ewigem Eis bedeckt , fällt jäh ab zu der düsteren Steilwand , die › Satanswinkel ‹ genannt wird , weil die Leute früher geglaubt haben , dorthin zögen sich die Dämonen zurück , wenn sie die Senner auf den Almen in Wahnsinn oder Todsünde getrieben hatten. Von hier unten scheint es , als wären der schwarze Keil und der weiße Gipfel unmittelbar hintereinander und fast gleich hoch , aber von der gegenüberliegenden Talseite aus erkennt man , daß zwischen Satanswinkel und Ehmarnhorn fast fünfhundert Meter Felsgrat liegen.
»Da warst du?«
Er nickt. Sein Unterarm liegt locker auf dem Gitarrenkorpus , seine Gesten kommen aus dem Handgelenk.
Ursula-Ulla sieht ihn voller Bewunderung an , mit einer Spur Schrecken über die Härte , die nötig ist , damit ein Mensch sich freiwillig solchen Gefahren ausliefert.
»Es war brutal.«
Anstatt zu erzählen , was geschehen ist , vor zwei Jahren , macht er eine dramatische Pause , bis sie sagt: »Das kann ich mir vorstellen.«
»Nein. Glaub mir. Das kannst du nicht.«
Carl hat die Geschichte schon mindestens zehnmal gehört , von Rasche , von Miersch , von Heinz-Bernd Zimmer. Auch der Präses hat sie für Predigten verwandt , obwohl er bei der Tour selbst gar nicht dabei war.
»Kurz nachdem wir den Abstieg begonnen hatten , kam ein Kälteeinbruch: das volle Programm mit Sturmböen , Hagelschlag. Wir standen mitten in den Wolken , Sichtweiten von dreißig , vierzig Metern. So etwas passiert am Ehmarnhorn oft. Unter anderem deshalb ist es bei Bergsteigern so gefürchtet. Als es aufklarte , sahen wir unter uns auf dem Gletscher eine amerikanische Seilschaft , die in der Nacht ebenfalls auf der Hütte gewesen war: Sie hatten Probleme , sowohl mit dem Untergrund als auch mit der Ausrüstung. Und auf einmal war da , wo der Mittlere gestanden hatte , eine Leerstelle über einem dunklen Loch. Keine Spur mehr von dem Mann. Er war einfach weg , vom Gletscher verschluckt. Solche verdeckten Spalten sind nicht selten , aber wenn du mit eigenen Augen siehst , was passieren kann , ist es ein Schock. Die beiden anderen hätte es fast mit hinuntergerissen. Einer lag flach auf dem Bauch , klammerte sich an seinen Eispickel , der zweite versuchte zu sichern , stemmte sich mit den Hacken in den Schnee. Und dann verlor das
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