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Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition)

Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition)

Titel: Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Peters
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findet. Carl hat ihm im Gegenzug aber nichts von Regina erzählt.
    Er wünschte , Bart wäre hier. Bart kann diese Dinge viel besser einschätzen. Er hat den größten Teil seines Lebens in der Großstadt verbracht , seine Eltern sind wie jüngere Leute , die in modernen Verhältnissen leben. Die Mutter arbeitet in der Modebranche , der Vater hat verschiedene Berufe gehabt , wohnt in einer Art Kommune und war schon mit mehreren Frauen zusammen , seit er sich von der Mutter getrennt hat. Manchmal kommt morgens eine aus seinem Zimmer , die vorher noch nie da war , einfach so. Auch seine Mitbewohner sind locker , was die Liebe angeht. Das weiß in Kahlenbeck sonst keiner. Sicher gibt es Gründe , warum es verboten ist , mit jemandem zu schlafen , solange man nicht verheiratet ist , aber wenn beide es ernst meinen , kann Carl sich kaum vorstellen , daß Gott so sehr dagegen wäre , wie es die Kirche behauptet , zumal Jesus selbst gesagt hat: Wer von euch ohne Sünde ist , werfe als erster einen Stein .
    Barts Vater würde jedenfalls keine Krise kriegen , wenn sein Sohn ein Mädchen mit nach Hause brächte. Sie dürfte bei ihm im Zimmer übernachten , sogar in seinem Bett. Carl hingegen hat ständig Streitereien mit seinen Eltern , wenn es um diese Themen geht.
    Neulich , als er mit seiner Mutter zum Einkaufen fuhr , sagte sie: › Du bist genau wie dein Vater , du schaust auch allen Frauen hinterher. ‹
    Ihm fiel nichts ein , was er hätte entgegnen können. Die Situation war ihm peinlich , vor allem wegen seines Vaters. Nach einer Pause fragte er , was sie eigentlich machen würde , wenn er ihr jetzt verraten würde , daß er eine Freundin habe? Er betonte es so , daß sie denken mußte , genau das werde er mit dem nächsten Satz tun.
    › Ich würde es dir verbieten ‹ , hat sie gesagt.

Zwölf
    »Almost heaven ,
    West Virginia ,
    Blue ridge mountains
    Shenandoah river.
    Life is old there ,
    older than the trees
    younger than the montains ,
    growing like a breeze …«
    Das Ehmarnhorn brennt. Entlang der Ostflanke in 4507 Metern Höhe lodern Feuerzungen den schneebedeckten Grat hinauf , reißen auseinander , verwehen als weißglühende Fetzen über dem abgeflachten Gipfel , zündeln am Himmel , bis sie sich zu weit entfernt haben , verlieren die Kraft , während von unten neue Flammen hochschießen , Explosionen , so hell , daß man geblendet wird , all das lautlos und wie in Zeitlupe , als käme es aus einer anderen Wirklichkeit. Dazu Rasches warme Stimme , der filigrane Klang seiner Gitarre , die über der Szene liegen wie Filmmusik.
    »Schau mal« , sagt Carl leise , um das Lied nicht zu stören , »Sonnenfeuer über dem Gletscher.«
    Sie sieht ihn verständnislos an. Er deutet rechts hinauf: »Über dem Ehmarnhorn.«
    Sie schaut erschrocken , schlägt die Hand vor den Mund , gefolgt von einem Entsetzenslaut , als stürzte der Berg ein.
    Carl flüstert: »Ich habe so etwas noch nie gesehen , obwohl ich schon zum dritten Mal hier bin.«
    Er ist ihr so nah , daß seine Nase ihr Haar streift. In der Rückwärtsbewegung saugt er ihren Geruch auf , erinnert sich , wie er vor Monaten am Nachholschalter stand , sie fortgehen sah , so benommen war von ihrer Duftspur , daß er sich kaum auf den Beinen halten konnte.
    »Was passiert da?«
    Er lehnt sich vorsichtig gegen sie , es soll absichtslos wirken , hält ihr sein Ohr hin , damit sie leise sprechen kann. Rasche reagiert empfindlich , sobald man seine Lieder stört. Die nackte Haut ihres Oberarms: »Nichts Schlimmes , oder?«
    »Kleine Wolken. Wahrscheinlich. Oder aufgewirbelter Schnee. Auf der Höhe schneit es ja auch im Sommer. Und wenn er ganz pulvrig ist , der Schnee , und starke Windböen kommen , wird er aufgewirbelt und fortgetragen , das ist dann wie bei einem Sandsturm. Die Eiskristalle brechen das Licht , so daß die Wolken oder der Schnee aussehen , als würde der Berg brennen. Es müßte gleich vorbei sein , die Sonne ist jeden Augenblick auf der Rückseite des Gipfels …« – Er redet , selbst auf die Gefahr hin , daß Rasche ihn anmault. Sein Mund ist ganz dicht bei ihr , sie müßte seinen Atem in ihrem Ohr spüren , ein Säuseln oder Streicheln. Er spricht weiter , auch wenn es Unsinn ist , was er sagt , damit er ein paar Sekunden länger Grund hat , ihr derart nahe zu sein: »Du mußt dir das so vorstellen: Hinter dem Gipfel sind weitere Gipfel , die man von hier aus nicht sieht , das hängt mit der Erdkrümmung zusammen , außerdem sind sie niedriger

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