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Wir Kinder der Kriegskinder

Wir Kinder der Kriegskinder

Titel: Wir Kinder der Kriegskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne-Ev Ustorf
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Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte gleichzeitig auch eine Beschäftigung mit der Vergangenheit der Eltern bedeutet hätte. In seinem Buch Opa war kein Nazi: Nationalsozialismus und Holocaust im Familiengedächtnis beschreibt der Sozialpsychologe Harald Welzer, wie die Söhne und Töchter der Kriegskinder-Generation häufig Gespräche mit den eigenen Eltern über deren Vergangenheit mit der Begründung verweigerten, die Eltern würden nicht über dieses Thema sprechen. Einen „sorgsam kultivierten Mythos von der schweigenden Kriegsgeneration“ nennt Welzer dieses Phänomen.
    Auch meine Mutter bestätigte mir kürzlich, dass sie nie das Gespräch mit ihren Eltern über deren Kriegsvergangenheit gesucht hatte: „Wir wollten gar nichts hören über diese Zeit! Das, was unsere Eltern aus dieser Zeit erzählten, das konnte nurschlecht sein. Es war absolut verpönt, mit ihnen darüber zu sprechen. Es hat uns schon zur Weißglut gebracht, wenn sie nur anfingen, über die Zeit ‚unter Adolf‘ zu sprechen oder sie ihre Lieder aus dem Arbeitsdienst sangen. Überall im Land waren die Alt-Nazis noch an der Macht, damit wollten wir nichts zu tun haben. Wir wissen wenig. Erst ihr fangt an, euch dafür zu interessieren.“
    Diese Haltung ist für mich durchaus nachvollziehbar, mag aber gleichzeitig eine Auseinandersetzung mit den eigenen Prägungen durch die Kriegsjahre erschwert haben. Und tatsächlich realisieren viele Kriegskinder erst heute, mehr als 60 Jahre nach Kriegsende, dass ihre Ängste, Lebensprobleme und psychosomatischen Erkrankungen möglicherweise mit verdrängten kindlichen Traumata zu tun haben, die ihren Ursprung in frühen Erfahrungen von Flucht, Vertreibung, Bombardierung, Kälte und Hunger haben oder in der mangelnden Zuwendung, die ihnen ihre Eltern aufgrund der damaligen Lebenssituation haben geben können.

    Spricht man die Kinder von Kriegskindern auf ihre Eltern an, so hört man häufig Sätze wie: Sie unterstützen mich sehr, aber es ist ihnen nur schwer möglich, eine tiefe emotionale Beziehung zu mir aufzubauen. Wir können nur schlecht über Gefühle sprechen. Sie haben keine Ahnung, was in mir vorgeht, können mich aber auch nicht fragen. Und so bleiben wir uns immer ein Stück weit fremd.
    So habe auch ich das oft erlebt. Obwohl durchaus fürsorglich und am Wohle ihrer Kinder interessiert, hatten auch meine Eltern oft Schwierigkeiten, mit intensiven Gefühlen umzugehen. In unserer Familie musste immer alles gut sein, wir sollten fröhliche und glückliche Kinder sein. Schon als Kind spürte ich, dass unsere mühsam aufrechterhaltene Familienbalance durch ungewünschte Gefühle wie Angst oder Traurigkeit leicht aus dem Gleichgewicht geraten konnte – von Wut ganz zu schweigen.Traten diese Emotionen dennoch auf, beharrten meine Eltern darauf, dass sie mit genügend Motivation „weggedrückt“ werden konnten: Das Verschwinden von Ängsten, seelischen Verstimmungen oder auch psychosomatischen Erkrankungen wurde als reine Willensfrage tituliert. „Streng dich an, nimm dich zusammen“ – das war ihre Haltung und schien bei ihnen auch über viele Jahre zu funktionieren. Ich jedoch litt als Kind zeitweise unter diffusen Ängsten, die ich nicht benennen, geschweige denn erklären konnte. Schlafstörungen und Trennungsängste quälten mich. Ich fürchtete, auf dem Weg zur Schule einfach vom Erdboden verschluckt zu werden. Nachts träumte ich wiederholt, dass ich allein durch brennende Ruinenlandschaften geisterte – oder ich fiel endlos in einen schwarzen Abgrund. Doch obwohl sich meine Eltern um mich sorgten, konnten sie nicht handeln. Es war ihnen nicht möglich, sich mit meinen Ängsten auseinandersetzen, sie zu halten, zu „containern“, wie es in der Fachsprache heißt. Psychotherapie kam für sie nicht in Frage.
    Warum handelten meine Eltern auf diese Weise? Vermutlich waren sie selbst hilflos und überfordert. Vielleicht drohten meine negativen Gefühlszustände ihre eigene fragile Abwehr zu erschüttern. Nachträglich, mit der Unterstützung von Psychotherapien, musste ich lernen, meine Gefühle wahrnehmen, einordnen und oft auch ertragen zu können.

    Erst mit Ende 20 ging mir auf, dass sie vermutlich selbst im Bann ihrer Geschichte standen: Sie hatten es nicht gelernt, mit ihren eigenen schmerzlichen und widersprüchlichen Gefühlsimpulsen umzugehen – und deshalb konnten sie diese auch bei ihren Kindern nur schlecht aushalten. Die Familienverhältnisse zur Zeit ihrer Geburt

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