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Wir Kinder Vom Bahnhof Zoo

Wir Kinder Vom Bahnhof Zoo

Titel: Wir Kinder Vom Bahnhof Zoo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane F.
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waren alle ganz schön meschugge. Bis auf eine. Die nannten sie Püppi.
    Püppi war den ganzen Tag mit irgendwelchen Arbeiten auf der Station beschäftigt. Sie machte sich echt nützlich und nahm den Schwestern allerlei Arbeit ab. Mit Püppi redete ich. Sie machte keinen irren Eindruck, sie dachte nur irgendwie sehr langsam. Sie war schon fünfzehn Jahre auf der Wachstation. Vor fünfzehn Jahren hatten ihre Geschwister sie auf Bonnies Ranch einliefern lassen. Sie war anscheinend nie durch irgendeine Therapie gegangen. Sie war eben immer auf der Wachstation geblieben. Vielleicht weil sie sich da so nützlich machte. Ich dachte, dass da irgendetwas nicht stimmen kann, wenn jemand fünfzehn Jahre auf der Wachstation bleibt, nur weil er ein bisschen langsam denkt.
    Am ersten Tag inspizierte mich gleich ein ganzes Ärzteteam. Das heißt, die meisten Weißkittel waren wohl Studenten, die mich in meinem Oma-Nachthemd sehr frech musterten. Der Boss der Weißkittel stellte ein paar Fragen und ich erzählte ganz naiv, dass ich in ein paar Tagen in eine Therapie gehen wollte und dann in ein Internat nach Westdeutschland, um das Abitur zu machen. Er sagte immer »Ja, ja«, wie man so zu Irren Ja, ja sagt.
    Als ich wieder in meinem Bett lag, fielen mir gleich Irrenwitze ein. Ich überlegte, ob ich etwas Falsches gesagt hätte, weil die mich irgendwie so behandelt hatten wie einer, der sagt, dass er Napoleon sei. Ich hatte plötzlich Angst, dass ich wie Püppi nie wieder aus der Wachstation rauskäme und in meinem Oma-Nachthemd und der Riesenunterhose vor mich hin dämmern würde.
    Nach zwei Tagen wurde ich dann aber auf die BStation verlegt, weil ich keine Entzugserscheinungen mehr hatte. Ich bekam meine Klamotten zurück und durfte sogar wieder mit Messer und Gabel essen und nicht nur mit einem Kinderlöffel wie auf der Wachstation. Auf der BStation waren noch drei Fixerinnen, die ich von der Szene kannte. Wir vier saßen an einem Tisch, den die Omis gleich den Terroristen-Tisch nannten.
    Eine von den Mädchen, Liane, hatte schon reichlich Knasterfahrung. Sie sagte auch, dass Bonnies Ranch viel schlimmer sei als Knast. Vor allem, weil man im Knast jederzeit an H rankäme, auf Bonnies Ranch aber sei das sehr schwierig.
    So weit war es also ganz lustig in Bonnies Ranch, weil wir jetzt zu viert waren. Trotzdem bekam ich allmählich wieder Panik. Denn ich bekam von den Ärzten keine vernünftige Antwort darauf, wann ich rauskäme in eine Drogentherapie. Sie sagten nur »Wollen mal sehen« und was sie noch so Sprüche draufhatten, die sie den Irren jeden Tag vorklopften.
    Die Abmachung mit meiner Mutter und dem Jugendamt war gewesen, dass ich vier Tage in Bonnies Ranch bleiben sollte, damit die sichergingen, dass ich clean war. Und dann sollte ich einen Therapieplatz kriegen. Ich hatte ja aber schon selber entzogen und war fast clean dahin gekommen. Und vom Therapieplatz war keine Rede mehr.
    Der dickste Hammer kam dann nach ein paar Tagen. Mir wurde ein Papier gebracht, auf dem ich unterschreiben sollte, dass ich freiwillig drei Monate in der Anstalt bliebe. Ich weigerte mich natürlich und sagte, ich wolle sofort raus. Ich sei freiwillig gekommen und könne deshalb auch gehen, wann ich wolle. Da kam der Oberarzt und sagte, wenn ich nicht für drei Monate unterschriebe, dann würde er die Zwangseinweisung für sechs Monate veranlassen.
    Ich fühlte mich also voll abgelinkt. Ich kam total auf den Horror. Mir war plötzlich sonnenklar, dass ich jetzt komplett von diesen idiotischen Ärzten abhängig war. Was wusste ich, was die für eine Diagnose über mich anfertigten. Die konnten mir eine schwere Neurose oder auch Schizophrenie oder was weiß ich anhängen. Als Insasse einer Irrenanstalt hatte man ja nicht mehr die kleinsten Rechte. Ich dachte echt, jetzt geht es dir wie Püppi.
    Das Schlimmste war, dass ich plötzlich selber nicht mehr wusste, wie verrückt ich war. Eine Neurose hatte ich ja allemal. Denn so viel hatte ich bei Gesprächen mit Drogenberatern schon mitgekriegt, dass Sucht eine Neurose ist, eine Zwangshandlung. Ich dachte an das, was ich schon alles gemacht hatte. Diese vielen Entzüge und dann sofort wieder anfangen, obwohl ich genau gewusst hatte, dass ich mich damit selber irgendwann umbringen würde. Der ganze Scheiß, den ich schon in meinem bisschen Leben gebaut hatte, was ich mit meiner Mutter gemacht hatte, wie ich andere Leute behandelt hatte. Normal war das bestimmt nicht. Ich hatte also einen ganz schönen

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