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Wir Kinder Vom Bahnhof Zoo

Wir Kinder Vom Bahnhof Zoo

Titel: Wir Kinder Vom Bahnhof Zoo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane F.
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merkte ich, dass ich Zitrone vergessen hatte. Aber das Dope war gut und löste sich auch so.
    Ich suchte mir eine Vene im linken Arm. Es war eigentlich wie bei jedem Druck. Nur, dass dies nun echt mein letzter sein sollte. Beim zweiten Versuch traf ich die Vene. Es kam Blut. Ich knallte das halbe Gramm rein. Ich kam nicht dazu, noch mal aufzuziehen, um den letzten Rest auch noch reinzudrücken. Was ich spürte, war, dass es mir erst das Herz zerriss und dann regelrecht die Schädeldecke vom Kopf sprengte.
    Als ich wieder aufwachte, war es draußen hell. Die Autos machten einen Höllenlärm. Ich lag neben dem Klo. Ich zog mir Pumpe und Kanüle aus dem Arm. Ich wollte aufstehen, da merkte ich, dass mein rechtes Bein irgendwie gelähmt war. Ich konnte es etwas bewegen, aber das machte einen Höllenschmerz in den Gelenken. Vor allem im Oberschenkelgelenk. Ich habe die Tür irgendwie aufbekommen. Erst bin ich gekrochen, dann habe ich mich hochgezogen. Ich konnte auf einem Bein an der Wand längshüpfen.
    Vor der Toilette waren zwei Jungs, so fünfzehn Jahre alt. Satinjacken, hautenge Jeans. Zwei kleine Schwule. Ich war froh, dass die schwul waren. Sie haben mich richtig aufgefangen, als ich da wie ein Gespenst aus der Toilette gehüpft kam. Sie checkten sofort was und einer sagte: »Was machst du denn für Sachen?« Ich kannte sie nicht, aber sie hatten mich schon auf dem Bahnhof gesehen. Die Jungs brachten mich zu einer Bank. Es war ein wahnsinnig kalter Oktobermorgen. Einer gab mir eine Marlboro. Ich dachte: Komisch, dass Schwule immer Marlboro oder Camel rauchen. Muss wohl an der Reklame mit den schwulen Typen liegen. Ich war irgendwie ganz happy, dass es nicht hingehauen hatte mit dem halben Gramm.
    Ich erzählte den Jungs, wie Stella mich abgelinkt hatte und dass ich das halbe Gramm gedrückt hätte. Sie waren sehr lieb. Sie fragten, wo sie mich hinbringen sollten. Mich nervte die Frage, weil ich nicht nachdenken wollte. Ich sagte, sie sollten mich auf der Bank sitzenlassen. Aber ich zitterte vor Kälte, und sie meinten, ich müsse zum Arzt, weil ich ja nicht mal laufen könne.
    Ich wollte zu keinem Arzt. Sie sagten, dass sie einen ganz coolen Typen kennen, einen Arzt, einen Schwulen, zu dem sie mich bringen könnten. Mich beruhigte, dass der Typ schwul war. Denn in so einer Situation hatte ich zu Schwulen mehr Vertrauen. Die Jungs holten ein Taxi und brachten mich zu dem schwulen Arzt. Der Typ war wirklich cool. Er ließ mir gleich sein Bett und untersuchte mich. Er wollte mit mir reden übers Drücken und so, aber ich wollte mit niemandem mehr reden. Ich bat ihn, mir Schlaftabletten zu geben. Er gab mir eine Schlaftablette und ein paar andere Medikamente.
    Ich kriegte dann auch gleich mein Fieber und mein Nasenbluten. Meistens schlief ich die nächsten beiden Tage. Als mein Kopf am dritten Tag wieder richtig anfing zu arbeiten, hielt ich es nicht mehr aus. Ich wollte nicht nachdenken. Ich musste mich echt zusammennehmen, um nicht nachzudenken und auszuflippen. Ich konzentrierte mich auf zwei Gedanken: Der liebe Gott hat noch nicht gewollt, dass du den Löffel abgibst. Und: Das nächste Mal nimmst du garantiert ein ganzes Gramm.
    Ich wollte raus, auf die Szene, einen Druck besorgen, rumflippen, nicht nachdenken bis zum echten Goldenen Schuss. Ich konnte immer noch nicht richtig laufen. Der schwule Arzt war echt um mich besorgt. Als er merkte, dass ich nicht mehr zu halten war, besorgte er mir noch Krücken. Ich humpelte auf den Krücken los und warf sie unterwegs weg. Ich wollte nicht mit Krücken wieder auf der Szene auftauchen. Wenn ich mich zusammennahm, konnte ich auch ohne Krücken humpeln.
    Ich humpelte auf den Bahnhof Zoo und machte erst mal Freier. Es war auch gleich ein Kanake dabei. Zwar kein Türke, aber ein Grieche. Ich hatte ja eigentlich auch nichts gegen Kanaken. Und dieser komische Ehrenvertrag, den Babsi, Stella und ich mal geschlossen hatten, dass wir es nie mit einem Kanaken machen würden, der war mir jetzt sowieso egal. Mir war alles egal.
    Vielleicht hatte ich irgendwo noch die Hoffnung, dass meine Mutter zum Bahnhof käme, um mich zu suchen. Wenn sie mich gesucht hätte, wäre sie zum Bahnhof gekommen. Deshalb ging ich wohl auch nicht auf die Kurfürstenstraße. Aber ich hatte es eigentlich sowieso im Gefühl, dass mich jetzt niemand mehr suchte. Und ich dachte mal einen Moment, dass es schön war, als meine Mutter noch auf mich wartete.
    Ich kaufte Dope, machte mir einen Druck und ging auf

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