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Wir Kinder Vom Bahnhof Zoo

Wir Kinder Vom Bahnhof Zoo

Titel: Wir Kinder Vom Bahnhof Zoo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane F.
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erfahren, wo sie ist?«, fragte ich.
    »Das wissen wir nicht. Sie hatte Erlaubnis, im Park spazieren zu gehen, und ist nicht zurückgekommen.«
    Ich kann nicht beschreiben, wie mir zu Mute war. Zu Hause legte ich mich ins Wohnzimmer neben das Telefon. Abends um zwanzig nach elf rief das Krankenhaus an, Christiane sei wieder da. Die Gleichgültigkeit der Schwester war erschütternd. Die vertreten den Standpunkt: »Wenn sie abhaut, dann haut sie eben ab. Das ist ja ihre Sache. Wir haben schon genug Rauschgiftsüchtige hier gehabt. Die hauen doch alle ab.« Genau so hat man mit mir am nächsten Tag geredet, als ich den Schwestern Vorwürfe machte.
    Auch die Ärztin schien das alles ziemlich kalt zu lassen. Sie erklärte mir lediglich, darauf weiter keinen Einfluss zu haben. Wenn Christiane noch einmal die Hausordnung verletzen würde, müsste sie wegen Disziplinlosigkeit entlassen werden. Die Auswertung der Leberpunktion habe übrigens ergeben, dass sie höchstens 20 Jahre alt wird, wenn sie so weitermacht. Sie wolle ihr entsprechend ins Gewissen reden. Mehr könne sie leider dazu nicht sagen.
    Am nächsten Abend kam ein Anruf aus dem Krankenhaus, Christiane sei wieder weg. Da hab ich die ganze Nacht auf dem Sofa neben dem Telefon verbracht. Und Christiane kam überhaupt nicht zurück. Sie blieb zwei Wochen verschwunden und ließ nichts von sich hören.
    Die ersten zwei, drei Tage suchte ich noch zusammen mit meinem Freund nach ihr. Auf der üblichen Tour durch die Diskotheken und U-Bahnhöfe. Dann musste ich ihre Sachen aus dem Krankenhaus abholen. Und als ich mit ihrer Tasche nach Hause kam und die Bücher und den Kram auspackte, den ich ihr ins Krankenhaus gebracht hatte, war ich erstmals auf dem Punkt angelangt, wo ich mir sagte: So, nun lässt du sie voll auf die Schnauze fallen.
    Ich sagte mir: Gut, wenn sie es nicht anders will, dann soll sie sehen, wo sie bleibt. Ich hörte auf, nach ihr zu suchen. Ich war unsagbar verletzt. Sie sollte spüren, dass meine Geduld zu Ende war. Wie lange ich das durchgehalten hätte, sei dahingestellt.
    Ich meldete sie auf dem nächsten Polizeirevier als vermisst und ließ den Beamten ein Foto von ihr da. Bei irgendeiner Razzia würden sie Christiane schon erwischen. Und dann wollte ich mit ihr ins nächste Flugzeug steigen und sie nach Westdeutschland bringen.
    Nach vierzehn Tagen, an einem Montagmorgen, erhielt ich den entscheidenden Anruf vom Polizeirevier Friedrichstraße. Der Beamte am Telefon war ungewöhnlich nett. Obwohl Christiane auf dem Revier herumtobte. Ich bat den Polizisten, er solle Christiane festhalten. Am frühen Nachmittag würde ich sie abholen und gleich per Flugzeug nach Westdeutschland bringen.
    Ich bestellte die Tickets. Einen Hin-und Rückflug für mich. Für Christiane einen Hinflug. Als ich das aussprach, fühlte ich einen Stich. Dann telefonierte ich mit meinen Verwandten.
    Am Nachmittag war alles erledigt. Auf dem Weg zur Polizei nahm ich noch meinen Freund mit. Ich dachte, wenn sie zwischen uns sitzt, kann sie nicht aus dem Auto springen.
    Christiane sagte kein Wort. Ich sagte auch nichts. Ich war nicht in der Lage dazu.
    Auf dem Flughafen zitterten mir die Knie, das Herz schlug mir bis zum Hals. Christiane sagte noch immer nichts. Sie beachtete mich gar nicht. Bis zum Abflug saß sie schweigend in ihrem Sessel, knabberte an den Fingernägeln und las in einem Roman, den sie bei sich hatte. Sie machte keinerlei Anstalten, abzuhauen.
    Ich atmete erst auf, als wir im Flugzeug saßen. Während des Starts schaute sie aus dem Fenster. Es war schon dunkel. Ich sagte zu ihr: »So, jetzt ist Schluss. Das Kapitel Rauschgift ist vorbei. Du kommst zu Tante Evelyn. Ich hoffe, dass du dort endgültig ein neues Leben beginnst.«

Bei Tante und Oma war ich erst mal vier Tage auf Turkey. Als ich wieder aufstehen konnte, legte ich gleich volle Montur an. Von der Kaninchenfelljacke bis zu den Stiefeln mit den höchsten Hacken machte ich mich auf Fixerbraut. Ich schminkte mich und ging mit dem Hund meiner Tante in den Wald. Ich machte mich jeden Morgen zurecht, als ginge es zur Szene, um dann in den Wald zu laufen. Ich blieb mit den hohen Hacken im Sand stecken und stolperte alle paar Meter und schlug mir beim Hinfallen die Knie grün und blau. Aber als meine Oma mit mir einkaufen gehen wollte, um mir ein paar »Laufschuhe« zu schenken, bekam ich schon bei dem Wort Laufschuhe einen urischen Horror.
    Ich kriegte allmählich raus, dass man mit meiner Tante, die gerade

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