Wir Kinder Vom Bahnhof Zoo
Jungen und Männer zu interessieren. Das waren für mich seltsame Wesen. Sie waren alle brutal. Die älteren Jungen auf der Straße genauso wie mein Vater und auf seine Art auch Klaus. Ich hatte Angst vor ihnen. Aber sie faszinierten mich auch. Sie waren stark und hatten Macht. Sie waren so, wie ich gern gewesen wäre. Ihre Macht, ihre Stärke jedenfalls zogen mich an.
Ich begann, gelegentlich mein Haar zu föhnen. Ich schnitt mir die Haare mit der Nagelschere vorn etwas kürzer und kämmte sie zur Seite. Ich machte mit meinen Haaren rum, weil man mir manchmal sagte, ich hätte so schönes langes Haar. Ich wollte nicht mehr die albernen karierten Kinderhosen tragen, sondern Jeans haben. Ich bekam Jeans. Ich wollte unbedingt hochhackige Schuhe. Meine Mutter gab mir ein altes Paar von sich.
Mit meinen Jeans und hochhackig lief ich fast jeden Abend bis zehn durch die Straßen. Ich fühlte mich zu Hause rausgeekelt. Aber ich fand die Freiheit, die ich hatte, auch toll. Vielleicht genoss ich es sogar, mich mit Klaus herumzustreiten. Es gab mir ein Gefühl von Stärke, mich mit einem Erwachsenen zu streiten.
Meine Schwester ertrug das alles nicht. Sie tat das für mich Unfassbare. Sie zog zu meinem Vater. Sie verließ meine Mutter und vor allem mich. Ich war nun noch etwas einsamer. Für meine Mutter aber war das ein ungeheurer Schlag. Sie weinte wieder. Sie stand da zwischen ihren Kindern und ihrem Freund und wurde wieder mit dem Problem nicht fertig.
Ich dachte, meine Schwester würde schnell wieder zurückkommen. Aber ihr gefiel es gut beim Vater. Sie bekam Taschengeld. Er bezahlte ihr die Reitstunden und schenkte ihr eine richtige Reithose. Für mich war das ganz schön hart. Ich musste mir die Reitstunden weiter mit Stallarbeiten verdienen. Aber das klappte nicht immer und meine Schwester mit ihren schicken Reithosen konnte bald besser reiten als ich.
Ich bekam dann aber eine Entschädigung. Mein Vater lud mich zu einer Reise nach Spanien ein. Ich hatte ein sehr gutes Zeugnis am Ende der 6. Klasse bekommen und war für das Gymnasium vorgeschlagen. Ich wurde bei der Gesamtschule in Gropiusstadt angemeldet. Bevor also ein neuer Lebensabschnitt begann, der mit dem Abitur enden sollte, flog ich mit meinem Vater und dessen Freundin nach Spanien, nach Torremolinos. Es wurde ein astreiner Urlaub. Mein Vater war prima. Ich merkte, dass er mich auf eine Art auch liebte. Er behandelte mich jetzt fast wie eine Erwachsene. Ich durfte sogar abends mit ihm und seiner Freundin noch ausgehen.
Er war richtig vernünftig geworden. Er hatte jetzt auch gleichaltrige Freunde und allen hatte er erzählt, dass er schon verheiratet gewesen war. Ich musste ihn nicht mehr Onkel Richard nennen. Ich war seine Tochter. Und er schien richtig stolz darauf, dass ich seine Tochter war. Allerdings, typisch für ihn: Er hatte den Urlaub so gelegt, wie es ihm und seinen Freunden am besten passte. Ans Ende meiner Ferien. Und ich kam gleich zwei Wochen zu spät in meine neue Schule. Ich begann also gleich mit Schulschwänzen.
Ich kam mir dann sehr fremd vor in der neuen Schule. In der Klasse hatten sich schon Freundschaften und Cliquen gebildet. Ich saß allein. Das Wichtigste aber war: In den zwei Wochen, die ich noch in Spanien gewesen war, hatte man den anderen das System der Gesamtschule erklärt, das ja ziemlich kompliziert ist, wenn man von der Grundschule kommt. Den anderen war geholfen worden bei der Auswahl der Kurse, die sie belegten. Ich stand jetzt ziemlich allein da. Ich hatte überhaupt keinen Durchblick in dieser Schule. Ich sollte ihn auch nie bekommen. Es gab ja keinen Klassenlehrer mehr wie in der Grundschule, der sich um die einzelnen Schüler kümmern konnte. Jeder Lehrer unterrichtete ein paar Hundert Schüler in verschiedenen Klassen und Kursen. Wenn man auf der Gesamtschule Abitur machen will, dann muss man schon selber wissen, wo es längsgeht. Da muss man sich freiwillig fürs Lernen entscheiden. Muss was tun, dass man in die Erweiterungskurse kommt. Oder man hat Eltern, die sagen, tu dies, tu das, und Dampf machen. Ich bekam einfach den Durchblick nicht.
Ich fühlte mich nicht anerkannt in der Schule. Die anderen hatten ja diese zwei Wochen Vorsprung. Das ist in einer neuen Schule ein großer Vorsprung. Ich probierte mein Rezept aus der Grundschule auch hier. Ich unterbrach die Lehrer mit Zwischenrufen, ich widersprach. Manchmal, weil ich recht hatte, und manchmal nur so. Ich kämpfte wieder einmal. Gegen die Lehrer und
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