Wir Kinder Vom Bahnhof Zoo
die Schule. Ich wollte Anerkennung.
Der stärkste Typ in unserer Klasse war ein Mädchen. Sie hieß Kessi. Sie hatte schon einen richtigen Busen. Sie sah wenigstens zwei Jahre älter aus als wir anderen und war auch erwachsener. Sie wurde von allen voll anerkannt. Ich bewunderte sie. Mein größter Wunsch war, dass Kessi meine Freundin würde.
Kessi hatte auch einen unheimlich starken Freund. Er ging in die Parallelklasse, war aber schon älter. Milan hieß er. Er war wenigstens 1,70 groß, hatte lange, schwarze, lockige Haare, die bis auf die Schultern gingen. Er trug enge Jeans und sehr schicke Stiefel. Auf Milan standen alle Mädchen. Und Kessi war nicht nur wegen ihres Busens und ihrer erwachsenen Tour voll anerkannt, sondern auch, weil Milan ihr Freund war.
Wir Mädchen hatten damals sehr bestimmte Vorstellungen von einem tollen Jungen. Er durfte nicht in Pluderhosen rumlaufen, sondern musste eben knallenge Jeans anhaben. Jungs mit Turnschuhen fanden wir blöd. Sie mussten irgendwelche modischen Schuhe tragen, am besten hochhackige Stiefel mit Verzierungen. Wir fanden die Jungs dämlich, die in der Klasse mit Papierkugeln rumschnippten oder mit Apfelresten warfen. Das waren dieselben, die in der Pause auf dem Hof Milch tranken und mit einem Fußball rumbolzten. Stark waren die Jungs, die in der Pause gleich in der Raucherecke verschwanden. Und Bier trinken können mussten sie. Ich weiß noch, wie beeindruckt ich war, als Kessi mir erzählte, der Milan habe unheimlich einen in der Krone gehabt.
Ich dachte immerzu daran, wie ich so werden könnte, dass mich ein Junge wie Milan anquatschen und vielleicht mit mir gehen würde. Oder, und das war eigentlich dasselbe, dass Kessi mich akzeptieren würde. Ich fand schon ihren Spitznamen Kessi unheimlich stark. Ich wollte es so weit bringen, dass ich auch einen starken Spitznamen bekam.
Ich sagte mir, was interessieren dich eigentlich die Lehrer, die du mal für eine Stunde siehst. Warum sollst du denen gefallen. Wichtig ist, dass dich die Leute akzeptieren, mit denen du immer zusammen bist. Ich trieb es dann ziemlich schlimm mit den Lehrern. Ich hatte auch überhaupt keine persönliche Beziehung zu ihnen. Den meisten schien sowieso alles egal zu sein. Sie hatten keine wirkliche Autorität und pöbelten nur rum. Von mir bekamen sie immer volles Rohr. Ich konnte bald die ganze Klasse auf den Kopf stellen und eine Unterrichtsstunde schmeißen. Das brachte mir natürlich Anerkennung.
Ich kratzte alles Geld zusammen, um mir Zigaretten zu kaufen und in die Raucherecke gehen zu können. Kessi ging in jeder Pause in die Raucherecke. Und als ich dann auch immer in die Raucherecke kam, da merkte ich, dass Kessi mich immer mehr akzeptierte.
Wir unterhielten uns jetzt auch nach der Schule miteinander. Sie lud mich schließlich zu sich nach Hause ein und wir tranken Bier zusammen, bis mir ziemlich komisch im Kopf war. Wir unterhielten uns über unser Zuhause. Kessi war es ganz ähnlich gegangen wie mir. Eigentlich kam sie aus einer noch größeren Scheiße.
Kessi war nämlich unehelich. Ihre Mutter wechselte die Freunde öfter. Und die Männer akzeptierten Kessi natürlich nicht. Sie hatte gerade eine schlimme Zeit mit einem ausgeflippten Freund ihrer Mutter hinter sich. Der hatte auch geprügelt und eines Tages die ganze Wohnungseinrichtung demoliert und zum Schluss den Fernseher aus dem Fenster geworfen. Nur Kessis Mutter war anders als meine. Sie versuchte auch, im Gegensatz zu meiner Mutter, sehr streng zu sein. Kessi musste fast jeden Abend vor acht zu Hause sein.
Ich schaffte es dann in der Schule, das heißt, ich schaffte die volle Anerkennung durch meine Mitschüler. Das war ein harter, ständiger Kampf. Für das Lernen blieb kaum Zeit. Der Tag meines Triumphes war, als ich mich neben Kessi setzen durfte. Ich lernte von Kessi das Schuleschwänzen. Wenn sie keinen Bock hatte, dann blieb sie einfach einzelne Stunden weg, um sich mit Milan zu treffen oder sonst was zu tun, was ihr Spaß machte. Erst hatte ich Bammel davor. Dann merkte ich aber schnell, dass es fast nie rauskam, wenn man einzelne Stunden schwänzte. Nur in der ersten Stunde wurde eingetragen, wer fehlte. In den nächsten Stunden hatten die Lehrer ja viel zu viel Schüler, um einen Überblick zu haben, wer nun da war und wer nicht. Vielen war es wohl auch egal.
Kessi ließ sich in dieser Zeit schon von Jungen küssen und streicheln. Und sie ging schon in das »Haus der Mitte«. Das war ein Jugendhaus der
Weitere Kostenlose Bücher