Wir Kinder Vom Bahnhof Zoo
grundsätzlich keine Schularbeiten machte. Und sie holten nur noch ihr Notenbuch heraus, wenn ich bei Klassenarbeiten »Kann ich nicht« ins Heft schrieb, es sofort abgab und dann vor mich hin gemalt habe, irgendeinen Blödsinn. Die meisten Lehrer, glaube ich, interessierten sich nicht mehr für die Schule als ich. Die hatten auch total resigniert und waren wie ich heilfroh, wenn wieder eine Stunde rum war ohne Klamauk.
Nach dem Abend, an dem ich zum ersten Mal angeschafft hatte, lief erst mal alles weiter wie vorher.
Ich lag also Detlef jeden Tag in den Ohren damit, dass ich irgendwie auch Geld ranschaffen müsse, und zwar mehr als die paar Mark, die ich eigentlich jeden Tag zusammenschlauchte. Detlef reagierte richtig eifersüchtig. Aber er hatte ja auch längst eingesehen, dass es so nicht weiterging, und schlug vor, dass wir zusammen anschafften.
Er kannte sich ja mittlerweile ganz gut aus mit den Freiern und wusste, dass es einige Bisexuelle gab und eben auch Schwule, die es ganz gern mal mit einem Mädchen versucht hätten – wenn eben für alle Fälle ein Junge dabei war. Detlef sagte, er würde Freier aussuchen, die mich nicht anfassen würden und schon gar nicht mit mir bumsen wollten. Freier also, die nur wollten, dass man mit ihnen was anstellt. Die waren Detlef sowieso am liebsten. Er meinte, wir beide könnten hundert Mark und mehr zusammen verdienen. Der erste Freier, den Detlef für uns ausgeguckt hatte, war Stotter-Max. Wir nannten ihn Stotter-Max. Das war ein Stammfreier von Detlef, den ich mittlerweile auch schon ganz gut kannte. Detlef sagte, der wolle nur verprügelt werden. Ich müsste mich allenfalls obenrum ausziehen. Mir war das recht. Ich fand das mit dem Verprügeln sogar echt gut, weil ich dachte, da könnte ich meine Aggressionen gegen Detlefs Freier loswerden. Stotter-Max war auch gleich ganz Feuer und Flamme, als Detlef ihm vorschlug, mich mal mitzunehmen. Natürlich zum doppelten Preis. Wir verabredeten uns für einen Montag um drei Uhr nachmittags am Zoo.
Ich kam wie immer zu spät. Stotter-Max war schon da. Nur Detlef natürlich nicht. Der war wie alle Fixer wahnsinnig unzuverlässig. Ich vermutete gleich richtig, dass er vorher noch einen Freier gemacht hatte, der gut zahlte und bei dem er sich also mehr Zeit lassen musste. Ich wartete noch fast eine halbe Stunde mit Stotter-Max. Detlef kam nicht. Ich hatte irrsinnig Schiss. Aber Stotter-Max hatte ganz offensichtlich noch mehr Angst. Er versuchte immer wieder zu erklären, dass er seit mehr als zehn Jahren nichts mit einem Mädchen gehabt habe. Er bekam kaum ein Wort zu Ende. Er stotterte auch sonst schlimm. Jetzt war er kaum noch zu verstehen.
Ich konnte das kaum aushalten mit ihm auf dem Bahnhof. Ich wollte das irgendwie zu Ende bringen. Außerdem hatte ich kein Dope mehr und hatte Angst, auf Turkey zu kommen, bevor die Sache mit Stotter-Max erledigt war. Je mehr ich seine Angst spürte, umso selbstsicherer wurde ich. Ich merkte, dass ich ihm in dieser Situation einfach überlegen war. Ich sagte ihm schließlich ganz cool: »Komm, Alter. Detlef hat uns sowieso sitzenlassen. Du wirst auch mit mir allein zufrieden sein. Es bleibt aber dabei, wie du es mit Detlef abgemacht hast. 150 Mark.«
Er stotterte tatsächlich »Ja« und schlich los. Er schien total willenlos. Ich hakte mich bei ihm ein und führte ihn richtig.
Ich kannte von Detlef die traurige Geschichte von Stotter-Max. Er war Hilfsarbeiter, Ende dreißig und kam aus Hamburg. Seine Mutter war Prostituierte. Er hatte als Kind wahnsinnig Schläge bekommen. Von der Mutter und ihren Zuhältern und in den Heimen, in denen er war. Die haben ihn so weichgekloppt, dass er vor lauter Angst nie lernte, richtig zu sprechen, und die Schläge nun auch brauchte, um sich sexuell zu befriedigen.
Wir sind beide in seine Wohnung gegangen. Ich habe erst mal das Geld verlangt, obwohl er ja ein Stammfreier war, bei dem man eigentlich nicht vorsichtig zu sein brauchte. Er gab mir tatsächlich hundertfünfzig Mark und ich war ein bisschen stolz, dass ich so cool ihm so viel Geld abgenommen hatte.
Ich zog mein T-Shirt aus und er gab mir eine Peitsche. Es war alles wie im Kino. Ich war nicht ich selber. Ich schlug erst nicht richtig zu. Aber er wimmerte, dass ich ihm wehtun solle. Da habe ich dann irgendwann draufgehauen. Er schrie »Mami« und ich weiß nicht mehr was. Ich habe nicht hingehört. Ich habe auch versucht, nicht hinzusehen. Aber ich sah doch, wie die Striemen auf seinem
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