Wir Kinder Vom Bahnhof Zoo
größer geworden. Noch vor einem Jahr wäre die Festnahme eines deutschen Zwischenhändlers mit 100 Gramm Heroin eine kleine Sensation gewesen. Das wird heute unter ferner liefen registriert.
Wir haben zur Kenntnis zu nehmen, dass bei der großen Verdienstspanne in zunehmendem Maße auch Deutsche in das Heroingeschäft verwickelt sind. Die Schmuggler und Großhändler sind zwar fast ausschließlich Ausländer, ebenso diejenigen Zwischenhändler, die direkten Zugang zu ihnen haben. Aber schon die nächsttiefere Stufe von Zwischenhändlern besteht vorwiegend aus Deutschen. Sie geben das Heroin in Mengen bis zu 100 Gramm an den süchtigen Kleindealer weiter, der es an den Endverbraucher bringt.
Unsere Ermittlungserfolge haben erwartungsgemäß dazu geführt, dass die Schmuggler und Händler vorsichtiger geworden sind, was wir wiederum mit steigendem Ermittlungsaufwand beantworten müssen. Aber je mehr wir in der Öffentlichkeit gegen Treffpunkte von Drogenabhängigen und ihren Kleindealern unternehmen, umso mehr verdrängen wir sie in Bereiche, wo sie kaum noch aufzufinden sind.
Die Polizei kann im Grunde machen, was sie will. Ob stille Überwachung der sogenannten öffentlichen Szene, Polizeipräsenz durch Patrouillen etc. – der Markt findet immer einen Weg. Heroin wird mehr und mehr in Privatwohnungen verkauft, wo sich die Süchtigen der polizeilichen Überwachung entziehen.
Von den 84 Berliner Herointoten des Jahres 1977 waren uns zum Beispiel 24 als Heroinkonsumenten überhaupt nicht bekannt, und die sind sicherlich nicht an der ersten Spritze gestorben. Auch der hartnäckige Betäubungsmittel-Konsument tritt polizeilich oft erst dann in Erscheinung, wenn er im bewusstlosen Zustand in ein Krankenhaus eingeliefert und mit ärztlichen Mitteln gerade noch im letzten Moment gerettet wird.
Ansonsten kann jemand jahrelang Heroin spritzen, ohne dass die Polizei davon erfährt. Mit einem Wort: Die Polizei kann das Betäubungsmittelproblem aus eigener Kraft nicht lösen. Die Amerikaner haben diese Erfahrung mit der Prohibition gemacht, wir haben sie nach 1945 mit dem schwarzen Markt gemacht: Wo eine intensive Nachfrage ist, wird sie auch ein entsprechendes Angebot finden.
Ich könnte natürlich noch zwanzig Beamte mehr beschäftigen und wir würden dann noch mehr kleine Heroinhändler festnehmen können. Doch das Problem bliebe bestehen und würde nur noch intensiver in die Strafanstalten verlagert, wo es bereits jetzt sehr stark auftritt. Inhaftierte Süchtige machen alles, um an Stoff heranzukommen, und selbst inhaftierte Händler machen alles, um sie zu versorgen. Man muss das einmal offen aussprechen: Die Verdienstmöglichkeiten korrumpieren enorm.
Wenn es nicht gelingt, straffällig gewordene Betäubungsmittel-Abhängige in einer Strafvollzugsanstalt zu konzentrieren und von anderen Gefangenen zu isolieren, kommt es – zumindest in Berlin – entweder zum Chaos in den Strafanstalten oder zum Ende des modernen Strafvollzugs. Denn man kann keinem Gefangenen Urlaub gewähren, keine Freigänge, keine großzügigen Besuchsmöglichkeiten zulassen, wenn man auf der anderen Seite verhindern will, dass der Drogenmissbrauch in der Haft fortgesetzt wird und neue Abhängige geschaffen werden. Man kann in der Praxis auch nicht jeden Freigänger, Urlauber oder Besucher regelmäßig körperlich untersuchen, was notwendig wäre, weil Frauen das Heroin in Präservativen in ihrer Scheide versteckt in die Strafanstalten schmuggeln und bei Männern dergleichen unter der Bezeichnung »Analbombe« gang und gäbe ist.
Permanente Festnahmen, Verurteilungen und Haftstrafen ändern daran nichts. Dem Heroin-Abhängigen ist alles egal, solange er noch eine Möglichkeit hat, seine Sucht zu befriedigen. Vorbeugende Aufklärung wäre meines Erachtens das Einzige, womit der Zunahme von Süchtigen mit einigem Erfolg beizukommen ist.
Renate Schipke, 35,
Sachbearbeiterin im Rauschgiftdezernat
Ich habe Christiane als Sachbearbeiterin für Vergehen gegen das Betäubungsmittelgesetz kennengelernt. Sie wurde das erste Mal auf Grund einer normalen Anzeigenerstattung vorgeladen und kam in Begleitung ihrer Freundin Stella zu mir. Insgesamt habe ich sechs-oder siebenmal mit ihr hier zu tun gehabt.
Meine Aufgabe bestand zu der Zeit in der Vernehmung von auffällig gewordenen Abhängigen mit dem Ziel der Namhaftmachung der Leute, von denen sie das illegale Betäubungsmittel beziehen. Es gibt einen unheimlichen Anfall von Anzeigen und man muss
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