Wir Kinder Vom Bahnhof Zoo
weil sie da mit dem Heroinproblem nicht mehr fertiggeworden waren. Dafür hatten sie jetzt eine Drogenberatung. Echt eine Drogenberatung nur für die Gropiusstadt. So viele Heroinsüchtige gab es da, zwei Jahre nachdem das erste H in Gropiusstadt aufgetaucht war. Die sagten mir, was ich eigentlich längst wusste: dass ich nur durch eine echte Therapie noch eine Chance hätte. Sie gaben mir die Adressen von Drogeninfo und Synanon, weil die noch die größten Therapieerfolge hätten.
Ich hatte einen ziemlichen Bammel vor diesen Therapien, denn die waren unheimlich hart, erzählte man auf der Szene. Das war die ersten Monate schlimmer als im Gefängnis. Bei Synanon musste man sich sogar erst mal eine Glatze schneiden lassen. Wohl, um zu beweisen, dass man mit einem ganz neuen Leben anfangen wollte. Ich dachte, dass ich das nicht bringen würde, mir den Kopf kahl scheren zu lassen und rumzulaufen wie Kojak. Meine Haare waren mir irgendwie das Wichtigste an mir. Hinter ihnen versteckte ich mein Gesicht. Ich dachte, wenn sie mir die Haare abschneiden, könnte ich mich auch gleich umbringen.
Die Drogenberaterin sagte dann auch selber, dass ich kaum eine Chance hätte bei Drogeninfo und Synanon, weil die eigentlich gar keine Therapieplätze mehr frei hätten. Die Aufnahmebedingungen seien sehr hart. Man musste körperlich noch gesund sein und denen erst mal durch freiwillige Selbstdisziplin beweisen, dass man überhaupt die Kraft hatte, von H wegzukommen. Die Drogenberaterin sagte, dass ich ja noch sehr jung sei, nicht einmal 15, also fast noch ein Kind. Da würde ich schwer bringen, was die verlangten. Für Kinder gäbe es eigentlich noch gar keine Therapie.
Ich sagte, ich wollte eigentlich auch zu Narkonon. Narkonon war das Therapiehaus einer Sekte, der Scientology Church. Auf der Szene liefen einige Fixer rum, die schon bei Narkonon gewesen waren und erzählten, das sei da eigentlich ganz in Ordnung. Bei Narkonon gab es überhaupt keine Aufnahmebedingungen, wenn man im Voraus zahlte. Man durfte seine Fixerkluft anbehalten, die eigenen Platten mitbringen und sogar Tiere.
Die Drogenberaterin sagte, ich solle mal darüber nachdenken, warum so viele Fixer erzählten, die Therapie bei Narkonon sei ganz dufte gewesen, und dabei munter weiter drückten. Sie jedenfalls kenne keinen einzigen Fall einer erfolgreichen Therapie bei Narkonon.
Ich fragte, was ich dann tun solle, wenn ich bei den anderen Therapien erst gar keine Chance hätte. Da gab sie mir die Adresse von Narkonon.
Zu Hause träufelte ich wieder meinem Kater den Rinderblutextrakt mit meiner einzigen Spritze ins Maul. Als meine Mutter kam, sagte ich ihr: »Ich entziehe jetzt endgültig bei Narkonon. Da werde ich ein paar Monate oder auch ein Jahr sein und dann bin ich echt clean.«
Meine Mutter tat so, als glaube sie mir ohnehin kein Wort mehr. Aber sie hängte sich gleich wieder ans Telefon und versuchte Informationen über Narkonon einzuholen.
Ich war voll abgefahren auf den Therapietrip. Ich fühlte mich neugeboren. Ich hatte schon an diesem Nachmittag keinen Freier mehr gemacht und war total ohne H. Ich wollte entziehen, bevor ich zu Narkonon ging. Ich wollte da nicht erst ins Turkeyzimmer. Ich wollte da total clean hinkommen, um vor den anderen, die da neu waren, gleich einen Vorsprung zu haben. Ich wollte gleich beweisen, dass ich echten Willen hatte, vom H wegzukommen.
Ich ging früh ins Bett. Ich legte den Kater, dem es immer mieser ging, neben meinem Kopf auf das Kopfkissen. Ich war ein bisschen stolz auf mich selber. Ich entzog ganz allein, total freiwillig. Welcher Fixer brachte das schon? Ich hatte meiner Mutter zwar gesagt, dass ich sofort entziehen würde, aber die hatte nur ungläubig gelächelt. Sie nahm sich auch nicht wieder frei. So ein Entzug war für sie ja schon bald was Alltägliches und was ganz Hoffnungsloses. Ich musste also alles echt ganz allein durchstehen.
Am nächsten Morgen war ich dann also voll auf Turkey. Es war so schlimm wie bei den anderen Entzügen, vielleicht sogar noch schlimmer. Aber ich dachte nie, das schaffst du nicht. Wenn ich meinte, die Schmerzen würden mich umbringen, sagte ich mir sofort: Ne, das ist nur das Gift, das aus deinem Körper entweicht. Du wirst leben, weil nie wieder irgendein Gift in deinen Körper hineinkommt. Wenn ich eindöste, hatte ich keine Horrorträume. Dann kamen mir Bilder vom herrlichen Leben nach der Therapie.
Als die Schmerzen am dritten Tag erträglicher wurden, habe ich nur noch
Weitere Kostenlose Bücher